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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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II. Kapitel. Das Erkennen.
lichten Dreyecke auf das gleichförmige zurückgeführt
hat, mit der Reduction des Rectangels auf das Qua-
drat, -- einer Gleichung zwischen dem sich selbst gleichen,
dem Quadrat, mit dem in sich ungleichen, dem Rechteck;
so macht die Hypotenuse, die dem rechten Winkel, dem
sich selbst gleichen entspricht, im pythagoräischen Lehr-
satze, die eine Seite der Gleichung aus, und die andere,
das sich ungleiche, nemlich die zwey Catheten. Jene
Gleichung zwischen dem Quadrat und dem Rechteck liegt
der zweyten Definition des Kreises zu Grunde, --
die wieder der pythagoräische Lehrsatz ist, nur insofern die
Catheten als veränderliche Grössen angenommen wer-
den; die erste Gleichung des Kreises ist in eben dem Ver-
hältnisse der sinnlichen Bestimmtheit zur Glei-
chung
, als die zwey verschiedene Definitionen der Ke-
gelschnitte überhaupt zu einander sind.

Dieser wahrhafte synthetische Fortgang ist ein
Uebergang vom Allgemeinen zur Einzelnheit,
nemlich zum an und für sich bestimmten oder der
Einheit des Gegenstands in sich selbst, insofern die-
ser in seine wesentlichen reellen Bestimmtheiten aus ein-
ander gegangen und unterschieden worden ist. Der ganz
unvollkommene, gewöhnliche Fortgang aber in andern
Wissenschaften pflegt zu seyn, daß der Anfang zwar von
einem Allgemeinen gemacht wird, die Vereinzelung
und Concretion desselben aber nur eine Anwendung
des Allgemeinen auf anders woher hereinkommenden
Stoff ist; das eigentliche Einzelne der Idee ist auf
diese Weise eine empirische Zuthat.

Von welchem unvollkommnern oder vollkommnern
Inhalte nun auch der Lehrsatz sey, so muß er bewie-
sen
werden. Er ist ein Verhältniß von reellen Bestim-
mungen, die nicht das Verhältniß von Begriffsbestim-

mun-

II. Kapitel. Das Erkennen.
lichten Dreyecke auf das gleichfoͤrmige zuruͤckgefuͤhrt
hat, mit der Reduction des Rectangels auf das Qua-
drat, — einer Gleichung zwiſchen dem ſich ſelbſt gleichen,
dem Quadrat, mit dem in ſich ungleichen, dem Rechteck;
ſo macht die Hypotenuſe, die dem rechten Winkel, dem
ſich ſelbſt gleichen entſpricht, im pythagoraͤiſchen Lehr-
ſatze, die eine Seite der Gleichung aus, und die andere,
das ſich ungleiche, nemlich die zwey Catheten. Jene
Gleichung zwiſchen dem Quadrat und dem Rechteck liegt
der zweyten Definition des Kreiſes zu Grunde, —
die wieder der pythagoraͤiſche Lehrſatz iſt, nur inſofern die
Catheten als veraͤnderliche Groͤſſen angenommen wer-
den; die erſte Gleichung des Kreiſes iſt in eben dem Ver-
haͤltniſſe der ſinnlichen Beſtimmtheit zur Glei-
chung
, als die zwey verſchiedene Definitionen der Ke-
gelſchnitte uͤberhaupt zu einander ſind.

Dieſer wahrhafte ſynthetiſche Fortgang iſt ein
Uebergang vom Allgemeinen zur Einzelnheit,
nemlich zum an und fuͤr ſich beſtimmten oder der
Einheit des Gegenſtands in ſich ſelbſt, inſofern die-
ſer in ſeine weſentlichen reellen Beſtimmtheiten aus ein-
ander gegangen und unterſchieden worden iſt. Der ganz
unvollkommene, gewoͤhnliche Fortgang aber in andern
Wiſſenſchaften pflegt zu ſeyn, daß der Anfang zwar von
einem Allgemeinen gemacht wird, die Vereinzelung
und Concretion deſſelben aber nur eine Anwendung
des Allgemeinen auf anders woher hereinkommenden
Stoff iſt; das eigentliche Einzelne der Idee iſt auf
dieſe Weiſe eine empiriſche Zuthat.

Von welchem unvollkommnern oder vollkommnern
Inhalte nun auch der Lehrſatz ſey, ſo muß er bewie-
ſen
werden. Er iſt ein Verhaͤltniß von reellen Beſtim-
mungen, die nicht das Verhaͤltniß von Begriffsbeſtim-

mun-
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[351/0369] II. Kapitel. Das Erkennen. lichten Dreyecke auf das gleichfoͤrmige zuruͤckgefuͤhrt hat, mit der Reduction des Rectangels auf das Qua- drat, — einer Gleichung zwiſchen dem ſich ſelbſt gleichen, dem Quadrat, mit dem in ſich ungleichen, dem Rechteck; ſo macht die Hypotenuſe, die dem rechten Winkel, dem ſich ſelbſt gleichen entſpricht, im pythagoraͤiſchen Lehr- ſatze, die eine Seite der Gleichung aus, und die andere, das ſich ungleiche, nemlich die zwey Catheten. Jene Gleichung zwiſchen dem Quadrat und dem Rechteck liegt der zweyten Definition des Kreiſes zu Grunde, — die wieder der pythagoraͤiſche Lehrſatz iſt, nur inſofern die Catheten als veraͤnderliche Groͤſſen angenommen wer- den; die erſte Gleichung des Kreiſes iſt in eben dem Ver- haͤltniſſe der ſinnlichen Beſtimmtheit zur Glei- chung, als die zwey verſchiedene Definitionen der Ke- gelſchnitte uͤberhaupt zu einander ſind. Dieſer wahrhafte ſynthetiſche Fortgang iſt ein Uebergang vom Allgemeinen zur Einzelnheit, nemlich zum an und fuͤr ſich beſtimmten oder der Einheit des Gegenſtands in ſich ſelbſt, inſofern die- ſer in ſeine weſentlichen reellen Beſtimmtheiten aus ein- ander gegangen und unterſchieden worden iſt. Der ganz unvollkommene, gewoͤhnliche Fortgang aber in andern Wiſſenſchaften pflegt zu ſeyn, daß der Anfang zwar von einem Allgemeinen gemacht wird, die Vereinzelung und Concretion deſſelben aber nur eine Anwendung des Allgemeinen auf anders woher hereinkommenden Stoff iſt; das eigentliche Einzelne der Idee iſt auf dieſe Weiſe eine empiriſche Zuthat. Von welchem unvollkommnern oder vollkommnern Inhalte nun auch der Lehrſatz ſey, ſo muß er bewie- ſen werden. Er iſt ein Verhaͤltniß von reellen Beſtim- mungen, die nicht das Verhaͤltniß von Begriffsbeſtim- mun-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/369>, abgerufen am 22.11.2024.