griff ist bestimmter Begriff, und diese Bestimmtheit desselben ist das Fremde, das er an ihm hat. Der Stoicismus ist darum in Verlegenheit gekommen, als er, wie der Ausdruck war, nach dem Kriterium der Wahrheit überhaupt gefragt wurde, d. h. ei- gentlich nach einem Inhalte des Gedankens selbst. Auf die Frage an ihn, was gut und wahr ist, hat er wieder das inhaltslose Denken selbst zur Antwort gegeben; in der Vernünftigkeit soll das wahre und gute bestehen. Aber diese Sichselbstgleichheit des Denkens ist nur wieder die reine Form, in wel- cher sich nichts bestimmt; die allgemeinen Worte von dem Wahren und Guten, der Weisheit und der Tugend, bey welchen er stehen bleiben muss, sind daher wohl im allgemeinen erhebend, aber weil sie in der That zu keiner Ausbreitung des In- halts kommen können, fangen sie bald an, Lange- weile zu machen.
Dieses denkende Bewusstseyn so, wie es sich bestimmt hat, als die abstracte Freyheit, ist also nur die unvollendete Negation des Andersseyns; aus dem Daseyn nur in sich zurückgezogen hat es sich nicht als absolute Negation desselben an ihm voll- bracht. Der Inhalt gilt ihm zwar nur als Gedanke, aber dabey auch als bestimmter, und die Bestimmt- heit als solche zugleich.
Der Skepticismus ist die Realisirung desjenigen, wovon der Stoicismus nur der Begriff, -- und die wirkliche Erfahrung, was die Freyheit des Gedankens
griff ist bestimmter Begriff, und diese Bestimmtheit desselben ist das Fremde, das er an ihm hat. Der Stoicismus ist darum in Verlegenheit gekommen, als er, wie der Ausdruck war, nach dem Kriterium der Wahrheit überhaupt gefragt wurde, d. h. ei- gentlich nach einem Inhalte des Gedankens selbst. Auf die Frage an ihn, was gut und wahr ist, hat er wieder das inhaltslose Denken selbst zur Antwort gegeben; in der Vernünftigkeit soll das wahre und gute bestehen. Aber diese Sichselbstgleichheit des Denkens ist nur wieder die reine Form, in wel- cher sich nichts bestimmt; die allgemeinen Worte von dem Wahren und Guten, der Weisheit und der Tugend, bey welchen er stehen bleiben muſs, sind daher wohl im allgemeinen erhebend, aber weil sie in der That zu keiner Ausbreitung des In- halts kommen können, fangen sie bald an, Lange- weile zu machen.
Dieses denkende Bewuſstseyn so, wie es sich bestimmt hat, als die abstracte Freyheit, ist also nur die unvollendete Negation des Andersseyns; aus dem Daseyn nur in sich zurückgezogen hat es sich nicht als absolute Negation desselben an ihm voll- bracht. Der Inhalt gilt ihm zwar nur als Gedanke, aber dabey auch als bestimmter, und die Bestimmt- heit als solche zugleich.
Der Skepticismus ist die Realisirung desjenigen, wovon der Stoicismus nur der Begriff, — und die wirkliche Erfahrung, was die Freyheit des Gedankens
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griff ist bestimmter Begriff, und diese Bestimmtheit
desselben ist das Fremde, das er an ihm hat. Der
Stoicismus ist darum in Verlegenheit gekommen,
als er, wie der Ausdruck war, nach dem Kriterium
der Wahrheit überhaupt gefragt wurde, d. h. ei-
gentlich nach einem Inhalte des Gedankens selbst.
Auf die Frage an ihn, was gut und wahr ist, hat
er wieder das inhaltslose Denken selbst zur Antwort
gegeben; in der Vernünftigkeit soll das wahre und
gute bestehen. Aber diese Sichselbstgleichheit des
Denkens ist nur wieder die reine Form, in wel-
cher sich nichts bestimmt; die allgemeinen Worte
von dem Wahren und Guten, der Weisheit und
der Tugend, bey welchen er stehen bleiben muſs,
sind daher wohl im allgemeinen erhebend, aber
weil sie in der That zu keiner Ausbreitung des In-
halts kommen können, fangen sie bald an, Lange-
weile zu machen.
Dieses denkende Bewuſstseyn so, wie es sich
bestimmt hat, als die abstracte Freyheit, ist also
nur die unvollendete Negation des Andersseyns; aus
dem Daseyn nur in sich zurückgezogen hat es sich
nicht als absolute Negation desselben an ihm voll-
bracht. Der Inhalt gilt ihm zwar nur als Gedanke,
aber dabey auch als bestimmter, und die Bestimmt-
heit als solche zugleich.
Der Skepticismus ist die Realisirung desjenigen,
wovon der Stoicismus nur der Begriff, — und die
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/243>, abgerufen am 23.11.2024.
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