Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

unmittelbares natürliches Bewusstseyn, sondern es ist
sich solches geworden. Zuerst preisgegeben aller Ver-
wicklung, worein es durch seine Entfaltung gestürzt
wird, itzt durch die reine Einsicht auf seine erste Ge-
stalt zurückgeführt, hat es sie als das Resultat erfahren.
Auf die Einsicht der Nichtigkeit aller andern Gestal-
ten des Bewusstseyns, und somit alles Jenseits der sinn-
lichen Gewissheit gegründet, ist diese sinnliche Gewiss-
heit nicht mehr Meynung, sondern sie ist vielmehr die
absolute Wahrheit. Diese Nichtigkeit alles dessen,
was über die sinnliche Gewissheit hinausgeht, ist zwar
nur ein negativer Beweis dieser Wahrheit; aber sie ist
keines andern fähig, denn die positive Wahrheit der
sinnlichen Gewissheit an ihr selbst, ist eben das unver-
mittelte
fürsichseyn des Begriffes selbst als Gegenstands,
und zwar in der Form des Andersseyns, -- dass es jedem
Bewusstseyn schlechthin gewiss ist, dass es ist, und ande-
re wirkliche Dinge
ausser ihm, und dass es in seinem
natürlichen Seyn, so wie diese Dinge, an und für sich
oder absolut ist.

Das dritte Moment der Wahrheit der Aufklärung
endlich ist das Verhältniss der einzelnen Wesen zum
absoluten Wesen, die Beziehung der beyden ersten.
Die Einsicht als reine Einsicht des Gleichen oder Unbe-
schränkten geht
auch über das ungleiche, nemlich die
endliche Wirklichkeit, oder über sich als blosses An-
dersseyn hinaus. Sie hat zum Ienseits desselben
das Leere, auf welches sie also die sinnliche Wirklich-

unmittelbares natürliches Bewuſstſeyn, ſondern es iſt
ſich ſolches geworden. Zuerſt preisgegeben aller Ver-
wicklung, worein es durch ſeine Entfaltung geſtürzt
wird, itzt durch die reine Einſicht auf ſeine erſte Ge-
ſtalt zurückgeführt, hat es ſie als das Reſultat erfahren.
Auf die Einſicht der Nichtigkeit aller andern Geſtal-
ten des Bewuſstſeyns, und ſomit alles Jenſeits der ſinn-
lichen Gewiſsheit gegründet, iſt dieſe ſinnliche Gewiſs-
heit nicht mehr Meynung, ſondern ſie iſt vielmehr die
abſolute Wahrheit. Dieſe Nichtigkeit alles deſſen,
was über die ſinnliche Gewiſsheit hinausgeht, iſt zwar
nur ein negativer Beweis dieſer Wahrheit; aber ſie iſt
keines andern fähig, denn die poſitive Wahrheit der
ſinnlichen Gewiſsheit an ihr ſelbſt, iſt eben das unver-
mittelte
fürſichſeyn des Begriffes ſelbſt als Gegenſtands,
und zwar in der Form des Andersſeyns, — daſs es jedem
Bewuſstſeyn ſchlechthin gewiſs iſt, daſs es iſt, und ande-
re wirkliche Dinge
auſſer ihm, und daſs es in ſeinem
natürlichen Seyn, ſo wie dieſe Dinge, an und für ſich
oder abſolut iſt.

Das dritte Moment der Wahrheit der Aufklärung
endlich iſt das Verhältniſs der einzelnen Weſen zum
abſoluten Weſen, die Beziehung der beyden erſten.
Die Einſicht als reine Einſicht des Gleichen oder Unbe-
ſchränkten geht
auch über das ungleiche, nemlich die
endliche Wirklichkeit, oder über ſich als bloſſes An-
dersſeyn hinaus. Sie hat zum Ienſeits deſſelben
das Leere, auf welches ſie alſo die ſinnliche Wirklich-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0617" n="508"/><hi rendition="#i">unmittelbares</hi> natürliches Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn, &#x017F;ondern es i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;olches <hi rendition="#i">geworden</hi>. Zuer&#x017F;t preisgegeben aller Ver-<lb/>
wicklung, worein es durch &#x017F;eine Entfaltung ge&#x017F;türzt<lb/>
wird, itzt durch die reine Ein&#x017F;icht auf &#x017F;eine er&#x017F;te Ge-<lb/>
&#x017F;talt zurückgeführt, hat es &#x017F;ie als das <hi rendition="#i">Re&#x017F;ultat erfahren</hi>.<lb/>
Auf die Ein&#x017F;icht der Nichtigkeit aller andern Ge&#x017F;tal-<lb/>
ten des Bewu&#x017F;st&#x017F;eyns, und &#x017F;omit alles Jen&#x017F;eits der &#x017F;inn-<lb/>
lichen Gewi&#x017F;sheit <hi rendition="#i">gegründet</hi>, i&#x017F;t die&#x017F;e &#x017F;innliche Gewi&#x017F;s-<lb/>
heit nicht mehr Meynung, &#x017F;ondern &#x017F;ie i&#x017F;t vielmehr die<lb/>
ab&#x017F;olute Wahrheit. Die&#x017F;e Nichtigkeit alles de&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was über die &#x017F;innliche Gewi&#x017F;sheit hinausgeht, i&#x017F;t zwar<lb/>
nur ein negativer Beweis die&#x017F;er Wahrheit; aber &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
keines andern fähig, denn die po&#x017F;itive Wahrheit der<lb/>
&#x017F;innlichen Gewi&#x017F;sheit an ihr &#x017F;elb&#x017F;t, i&#x017F;t eben das <hi rendition="#i">unver-<lb/>
mittelte</hi> für&#x017F;ich&#x017F;eyn des Begriffes &#x017F;elb&#x017F;t als Gegen&#x017F;tands,<lb/>
und zwar in der Form des Anders&#x017F;eyns, &#x2014; da&#x017F;s es jedem<lb/>
Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn <hi rendition="#i">&#x017F;chlechthin gewi&#x017F;s</hi> i&#x017F;t, da&#x017F;s es <hi rendition="#i">i&#x017F;t</hi>, und <hi rendition="#i">ande-<lb/>
re wirkliche Dinge</hi> au&#x017F;&#x017F;er ihm, und da&#x017F;s es in &#x017F;einem<lb/><hi rendition="#i">natürlichen</hi> Seyn, &#x017F;o wie die&#x017F;e Dinge, <hi rendition="#i">an und für &#x017F;ich</hi><lb/>
oder <hi rendition="#i">ab&#x017F;olut</hi> i&#x017F;t.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#i">Das dritte Moment der Wahrheit der Aufklärung</hi><lb/>
endlich i&#x017F;t das Verhältni&#x017F;s der einzelnen We&#x017F;en zum<lb/>
ab&#x017F;oluten We&#x017F;en, die Beziehung der beyden er&#x017F;ten.<lb/>
Die Ein&#x017F;icht als reine Ein&#x017F;icht des <hi rendition="#i">Gleichen</hi> oder <hi rendition="#i">Unbe-<lb/>
&#x017F;chränkten geht</hi> auch über das <hi rendition="#i">ungleiche</hi>, nemlich die<lb/>
endliche Wirklichkeit, oder über &#x017F;ich als blo&#x017F;&#x017F;es An-<lb/>
ders&#x017F;eyn <hi rendition="#i">hinaus</hi>. Sie hat zum Ien&#x017F;eits de&#x017F;&#x017F;elben<lb/><hi rendition="#i">das Leere</hi>, auf welches &#x017F;ie al&#x017F;o die &#x017F;innliche Wirklich-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[508/0617] unmittelbares natürliches Bewuſstſeyn, ſondern es iſt ſich ſolches geworden. Zuerſt preisgegeben aller Ver- wicklung, worein es durch ſeine Entfaltung geſtürzt wird, itzt durch die reine Einſicht auf ſeine erſte Ge- ſtalt zurückgeführt, hat es ſie als das Reſultat erfahren. Auf die Einſicht der Nichtigkeit aller andern Geſtal- ten des Bewuſstſeyns, und ſomit alles Jenſeits der ſinn- lichen Gewiſsheit gegründet, iſt dieſe ſinnliche Gewiſs- heit nicht mehr Meynung, ſondern ſie iſt vielmehr die abſolute Wahrheit. Dieſe Nichtigkeit alles deſſen, was über die ſinnliche Gewiſsheit hinausgeht, iſt zwar nur ein negativer Beweis dieſer Wahrheit; aber ſie iſt keines andern fähig, denn die poſitive Wahrheit der ſinnlichen Gewiſsheit an ihr ſelbſt, iſt eben das unver- mittelte fürſichſeyn des Begriffes ſelbſt als Gegenſtands, und zwar in der Form des Andersſeyns, — daſs es jedem Bewuſstſeyn ſchlechthin gewiſs iſt, daſs es iſt, und ande- re wirkliche Dinge auſſer ihm, und daſs es in ſeinem natürlichen Seyn, ſo wie dieſe Dinge, an und für ſich oder abſolut iſt. Das dritte Moment der Wahrheit der Aufklärung endlich iſt das Verhältniſs der einzelnen Weſen zum abſoluten Weſen, die Beziehung der beyden erſten. Die Einſicht als reine Einſicht des Gleichen oder Unbe- ſchränkten geht auch über das ungleiche, nemlich die endliche Wirklichkeit, oder über ſich als bloſſes An- dersſeyn hinaus. Sie hat zum Ienſeits deſſelben das Leere, auf welches ſie alſo die ſinnliche Wirklich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/617
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/617>, abgerufen am 22.11.2024.