und meine Gedanken pfeilschnell ertappend, sprach sie: Nicht wahr, diese Hand ist nicht mehr so schön, wie in Ramsgate? Mathilde hat unter¬ dessen viel gelitten!
Lieber Leser, man kann es den Glocken selten ansehen, wo sie einen Riß haben, und nur an ihrem Tone merkt man ihn. Hättest du nun den Klang der Stimme gehört, womit obige Worte gesprochen wurden, so wüßtest du gleich, Myladys Herz ist eine Glocke vom besten Metall, aber ein verborgener Riß dämpft wunderbar ihre heitersten Töne, und umschleiert sie gleichsam mit heimlicher Trauer. Doch ich liebe solche Glocken, sie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen Brust; und ich küßte Myladys Hand fast inniger als ehemals, obgleich sie minder vollblühend war und einige Adern, etwas allzublau hervortretend, mir ebenfalls zu sagen schienen: Mathilde hat unterdessen viel gelitten.
und meine Gedanken pfeilſchnell ertappend, ſprach ſie: Nicht wahr, dieſe Hand iſt nicht mehr ſo ſchoͤn, wie in Ramsgate? Mathilde hat unter¬ deſſen viel gelitten!
Lieber Leſer, man kann es den Glocken ſelten anſehen, wo ſie einen Riß haben, und nur an ihrem Tone merkt man ihn. Haͤtteſt du nun den Klang der Stimme gehoͤrt, womit obige Worte geſprochen wurden, ſo wuͤßteſt du gleich, Myladys Herz iſt eine Glocke vom beſten Metall, aber ein verborgener Riß daͤmpft wunderbar ihre heiterſten Toͤne, und umſchleiert ſie gleichſam mit heimlicher Trauer. Doch ich liebe ſolche Glocken, ſie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen Bruſt; und ich kuͤßte Myladys Hand faſt inniger als ehemals, obgleich ſie minder vollbluͤhend war und einige Adern, etwas allzublau hervortretend, mir ebenfalls zu ſagen ſchienen: Mathilde hat unterdeſſen viel gelitten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0232"n="224"/>
und meine Gedanken pfeilſchnell ertappend,<lb/>ſprach ſie: Nicht wahr, dieſe Hand iſt nicht mehr<lb/>ſo ſchoͤn, wie in Ramsgate? Mathilde hat unter¬<lb/>
deſſen viel gelitten!</p><lb/><p>Lieber Leſer, man kann es den Glocken ſelten<lb/>
anſehen, wo ſie einen Riß haben, und nur an<lb/>
ihrem Tone merkt man ihn. Haͤtteſt du nun<lb/>
den Klang der Stimme gehoͤrt, womit obige<lb/>
Worte geſprochen wurden, ſo wuͤßteſt du gleich,<lb/>
Myladys Herz iſt eine Glocke vom beſten Metall,<lb/>
aber ein verborgener Riß daͤmpft wunderbar ihre<lb/>
heiterſten Toͤne, und umſchleiert ſie gleichſam mit<lb/>
heimlicher Trauer. Doch ich liebe ſolche Glocken,<lb/>ſie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen<lb/>
Bruſt; und ich kuͤßte Myladys Hand faſt inniger<lb/>
als ehemals, obgleich ſie minder vollbluͤhend war<lb/>
und einige Adern, etwas allzublau hervortretend,<lb/>
mir ebenfalls zu ſagen ſchienen: Mathilde hat<lb/>
unterdeſſen viel gelitten.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[224/0232]
und meine Gedanken pfeilſchnell ertappend,
ſprach ſie: Nicht wahr, dieſe Hand iſt nicht mehr
ſo ſchoͤn, wie in Ramsgate? Mathilde hat unter¬
deſſen viel gelitten!
Lieber Leſer, man kann es den Glocken ſelten
anſehen, wo ſie einen Riß haben, und nur an
ihrem Tone merkt man ihn. Haͤtteſt du nun
den Klang der Stimme gehoͤrt, womit obige
Worte geſprochen wurden, ſo wuͤßteſt du gleich,
Myladys Herz iſt eine Glocke vom beſten Metall,
aber ein verborgener Riß daͤmpft wunderbar ihre
heiterſten Toͤne, und umſchleiert ſie gleichſam mit
heimlicher Trauer. Doch ich liebe ſolche Glocken,
ſie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen
Bruſt; und ich kuͤßte Myladys Hand faſt inniger
als ehemals, obgleich ſie minder vollbluͤhend war
und einige Adern, etwas allzublau hervortretend,
mir ebenfalls zu ſagen ſchienen: Mathilde hat
unterdeſſen viel gelitten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/232>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.