Ihr Auge sah mich an wie ein wehmüthig einsamer Stern am herbstlichen Himmel, und weich und innig sprach sie: Sie scheinen mich wenig mehr zu lieben, Doktor! Denn nur mit¬ leidig fiel eben Ihre Thräne auf meine Hand, fast wie ein Almosen.
Wer heißt Sie die stumme Sprache meiner Thränen so dürftig ausdeuten? Ich wette, der weiße Jagdhund, der sich jetzt an Sie schmiegt, versteht mich besser; er schaut mich an, und dann wieder Sie, und scheint sich zu wundern, daß die Menschen, die stolzen Herren der Schöpfung, innerlich so tief elend sind. Ach, Mylady, nur der verwandte Schmerz entlockt uns die Thräne, und jeder weint eigentlich für sich selbst.
Genug, genug, Doktor. Es ist wenigstens gut, daß wir Zeitgenossen sind und in demselben Erdwinkel uns gefunden mit unseren närrischen Thränen. Ach des Unglücks ! wenn Sie vielleicht zweyhundert Jahre früher gelebt hätten, wie es
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Ihr Auge ſah mich an wie ein wehmuͤthig einſamer Stern am herbſtlichen Himmel, und weich und innig ſprach ſie: Sie ſcheinen mich wenig mehr zu lieben, Doktor! Denn nur mit¬ leidig fiel eben Ihre Thraͤne auf meine Hand, faſt wie ein Almoſen.
Wer heißt Sie die ſtumme Sprache meiner Thraͤnen ſo duͤrftig ausdeuten? Ich wette, der weiße Jagdhund, der ſich jetzt an Sie ſchmiegt, verſteht mich beſſer; er ſchaut mich an, und dann wieder Sie, und ſcheint ſich zu wundern, daß die Menſchen, die ſtolzen Herren der Schoͤpfung, innerlich ſo tief elend ſind. Ach, Mylady, nur der verwandte Schmerz entlockt uns die Thraͤne, und jeder weint eigentlich fuͤr ſich ſelbſt.
Genug, genug, Doktor. Es iſt wenigſtens gut, daß wir Zeitgenoſſen ſind und in demſelben Erdwinkel uns gefunden mit unſeren naͤrriſchen Thraͤnen. Ach des Ungluͤcks ! wenn Sie vielleicht zweyhundert Jahre fruͤher gelebt haͤtten, wie es
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Ihr Auge ſah mich an wie ein wehmuͤthig
einſamer Stern am herbſtlichen Himmel, und
weich und innig ſprach ſie: Sie ſcheinen mich
wenig mehr zu lieben, Doktor! Denn nur mit¬
leidig fiel eben Ihre Thraͤne auf meine Hand,
faſt wie ein Almoſen.
Wer heißt Sie die ſtumme Sprache meiner
Thraͤnen ſo duͤrftig ausdeuten? Ich wette,
der weiße Jagdhund, der ſich jetzt an Sie ſchmiegt,
verſteht mich beſſer; er ſchaut mich an, und dann
wieder Sie, und ſcheint ſich zu wundern, daß
die Menſchen, die ſtolzen Herren der Schoͤpfung,
innerlich ſo tief elend ſind. Ach, Mylady, nur
der verwandte Schmerz entlockt uns die Thraͤne,
und jeder weint eigentlich fuͤr ſich ſelbſt.
Genug, genug, Doktor. Es iſt wenigſtens
gut, daß wir Zeitgenoſſen ſind und in demſelben
Erdwinkel uns gefunden mit unſeren naͤrriſchen
Thraͤnen. Ach des Ungluͤcks ! wenn Sie vielleicht
zweyhundert Jahre fruͤher gelebt haͤtten, wie es
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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