Vermummung seiner eigenen Gefühle zu gebrau¬ chen. Unrecht geschieht ihm vielleicht, wenn man, solche unglückliche Lage verkennend, behauptet hat, daß Graf Platen auch in der Poesie sich als Graf zeigen und auf Adel halten wolle, und uns daher nur Gefühle von bekannter Familie, Gefühle die schon ihre 64 Ahnen haben, vor¬ führe. Lebte er in der Zeit des römischen Pytha¬ goras, so würde er vielleicht seine eigenen Gefühle freyer hervortreten lassen und er würde vielleicht für einen Dichter gelten. Es würden dann we¬ nigstens die Naturlaute in seinen lyrischen Ge¬ dichten nicht vermißt werden -- doch der Mangel an Gestalten in seinen Dramen würde noch immer bleiben, so lange sich nicht auch seine sinnliche Natur veränderte, und er gleichsam ein Anderer würde. Die Gestalten, die ich meyne, sind nem¬ lich jene selbständigen Geschöpfe, die aus dem schaffenden Dichtergeiste, wie Pallas Athene aus dem Haupte Kronions, vollendet und gerüstet her¬
Vermummung ſeiner eigenen Gefuͤhle zu gebrau¬ chen. Unrecht geſchieht ihm vielleicht, wenn man, ſolche ungluͤckliche Lage verkennend, behauptet hat, daß Graf Platen auch in der Poeſie ſich als Graf zeigen und auf Adel halten wolle, und uns daher nur Gefuͤhle von bekannter Familie, Gefuͤhle die ſchon ihre 64 Ahnen haben, vor¬ fuͤhre. Lebte er in der Zeit des roͤmiſchen Pytha¬ goras, ſo wuͤrde er vielleicht ſeine eigenen Gefuͤhle freyer hervortreten laſſen und er wuͤrde vielleicht fuͤr einen Dichter gelten. Es wuͤrden dann we¬ nigſtens die Naturlaute in ſeinen lyriſchen Ge¬ dichten nicht vermißt werden — doch der Mangel an Geſtalten in ſeinen Dramen wuͤrde noch immer bleiben, ſo lange ſich nicht auch ſeine ſinnliche Natur veraͤnderte, und er gleichſam ein Anderer wuͤrde. Die Geſtalten, die ich meyne, ſind nem¬ lich jene ſelbſtaͤndigen Geſchoͤpfe, die aus dem ſchaffenden Dichtergeiſte, wie Pallas Athene aus dem Haupte Kronions, vollendet und geruͤſtet her¬
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Vermummung ſeiner eigenen Gefuͤhle zu gebrau¬
chen. Unrecht geſchieht ihm vielleicht, wenn man,
ſolche ungluͤckliche Lage verkennend, behauptet
hat, daß Graf Platen auch in der Poeſie ſich
als Graf zeigen und auf Adel halten wolle, und
uns daher nur Gefuͤhle von bekannter Familie,
Gefuͤhle die ſchon ihre 64 Ahnen haben, vor¬
fuͤhre. Lebte er in der Zeit des roͤmiſchen Pytha¬
goras, ſo wuͤrde er vielleicht ſeine eigenen Gefuͤhle
freyer hervortreten laſſen und er wuͤrde vielleicht
fuͤr einen Dichter gelten. Es wuͤrden dann we¬
nigſtens die Naturlaute in ſeinen lyriſchen Ge¬
dichten nicht vermißt werden — doch der Mangel
an Geſtalten in ſeinen Dramen wuͤrde noch immer
bleiben, ſo lange ſich nicht auch ſeine ſinnliche
Natur veraͤnderte, und er gleichſam ein Anderer
wuͤrde. Die Geſtalten, die ich meyne, ſind nem¬
lich jene ſelbſtaͤndigen Geſchoͤpfe, die aus dem
ſchaffenden Dichtergeiſte, wie Pallas Athene aus
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/391>, abgerufen am 22.11.2024.
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