Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Zähne komme, eine Zermalmung sey "und der zu
allen deutschen Dichtern sagt:

"Ja, gleichwie Nero, wünscht" ich euch nur Ein
Gehirn,

Durch einen einzigen Witzeshieb zu spalten es --"
Der Vers ist schlecht. Der versteckte Witz aber
besteht darin: daß der Graf eigentlich wünscht,
wir wären alle lauter Neronen und er, im Gegen¬
theil, unser einziger lieber Freund Pythagoras.

Vielleicht würde ich zum Besten des Grafen
noch manchen anderen versteckten Witz hervorloben,
doch da er mir in seinem König Oedipus das
Liebste angegriffen -- denn was könnte mir lieber
seyn als mein Christenthum? -- so ist es mir
nicht zu verdenken, wenn ich, menschlich gesinnt,
den Oedipus, diese "große That in Worten"
minder ernstlich als die früheren Thätigkeiten
würdige.

Indessen, das wahre Verdienst hat immer
seinen Lohn gefunden, und dem Verfasser des

Zaͤhne komme, eine Zermalmung ſey „und der zu
allen deutſchen Dichtern ſagt:

„Ja, gleichwie Nero, wuͤnſcht” ich euch nur Ein
Gehirn,

Durch einen einzigen Witzeshieb zu ſpalten es —“
Der Vers iſt ſchlecht. Der verſteckte Witz aber
beſteht darin: daß der Graf eigentlich wuͤnſcht,
wir waͤren alle lauter Neronen und er, im Gegen¬
theil, unſer einziger lieber Freund Pythagoras.

Vielleicht wuͤrde ich zum Beſten des Grafen
noch manchen anderen verſteckten Witz hervorloben,
doch da er mir in ſeinem Koͤnig Oedipus das
Liebſte angegriffen — denn was koͤnnte mir lieber
ſeyn als mein Chriſtenthum? — ſo iſt es mir
nicht zu verdenken, wenn ich, menſchlich geſinnt,
den Oedipus, dieſe „große That in Worten“
minder ernſtlich als die fruͤheren Thaͤtigkeiten
wuͤrdige.

Indeſſen, das wahre Verdienſt hat immer
ſeinen Lohn gefunden, und dem Verfaſſer des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0414" n="406"/>
Za&#x0364;hne komme, eine Zermalmung &#x017F;ey &#x201E;und der zu<lb/>
allen deut&#x017F;chen Dichtern &#x017F;agt:<lb/><lg><l>&#x201E;Ja, gleichwie Nero, wu&#x0364;n&#x017F;cht&#x201D; ich euch nur Ein<lb/><hi rendition="#et">Gehirn,</hi></l><lb/><l>Durch einen einzigen Witzeshieb zu &#x017F;palten es &#x2014;&#x201C;</l></lg><lb/>
Der Vers i&#x017F;t &#x017F;chlecht. Der ver&#x017F;teckte Witz aber<lb/>
be&#x017F;teht darin: daß der Graf eigentlich wu&#x0364;n&#x017F;cht,<lb/>
wir wa&#x0364;ren alle lauter Neronen und er, im Gegen¬<lb/>
theil, un&#x017F;er einziger lieber Freund Pythagoras.</p><lb/>
          <p>Vielleicht wu&#x0364;rde ich zum Be&#x017F;ten des Grafen<lb/>
noch manchen anderen ver&#x017F;teckten Witz hervorloben,<lb/>
doch da er mir in &#x017F;einem Ko&#x0364;nig Oedipus das<lb/>
Lieb&#x017F;te angegriffen &#x2014; denn was ko&#x0364;nnte mir lieber<lb/>
&#x017F;eyn als mein Chri&#x017F;tenthum? &#x2014; &#x017F;o i&#x017F;t es mir<lb/>
nicht zu verdenken, wenn ich, men&#x017F;chlich ge&#x017F;innt,<lb/>
den Oedipus, die&#x017F;e &#x201E;große That in Worten&#x201C;<lb/>
minder ern&#x017F;tlich als die fru&#x0364;heren Tha&#x0364;tigkeiten<lb/>
wu&#x0364;rdige.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en, das wahre Verdien&#x017F;t hat immer<lb/>
&#x017F;einen Lohn gefunden, und dem Verfa&#x017F;&#x017F;er des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0414] Zaͤhne komme, eine Zermalmung ſey „und der zu allen deutſchen Dichtern ſagt: „Ja, gleichwie Nero, wuͤnſcht” ich euch nur Ein Gehirn, Durch einen einzigen Witzeshieb zu ſpalten es —“ Der Vers iſt ſchlecht. Der verſteckte Witz aber beſteht darin: daß der Graf eigentlich wuͤnſcht, wir waͤren alle lauter Neronen und er, im Gegen¬ theil, unſer einziger lieber Freund Pythagoras. Vielleicht wuͤrde ich zum Beſten des Grafen noch manchen anderen verſteckten Witz hervorloben, doch da er mir in ſeinem Koͤnig Oedipus das Liebſte angegriffen — denn was koͤnnte mir lieber ſeyn als mein Chriſtenthum? — ſo iſt es mir nicht zu verdenken, wenn ich, menſchlich geſinnt, den Oedipus, dieſe „große That in Worten“ minder ernſtlich als die fruͤheren Thaͤtigkeiten wuͤrdige. Indeſſen, das wahre Verdienſt hat immer ſeinen Lohn gefunden, und dem Verfaſſer des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/414
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/414>, abgerufen am 24.11.2024.