Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

merken. Dagegen aber ist es die höchste Politik
der Könige, daß sie es ganz geheim halten, an
welchen Tagen sie nicht regieren, daß sie sich an
solchen Tagen wenigstens einige Mahl auf den
Regierstuhl setzen, und etwa Federn schneiden,
oder Briefkouverts versiegeln oder weiße Blätter
liniiren, Alles zum Schein, damit das Volk drau¬
ßen, das neugierig in die Fenster des Palais hin¬
einguckt, ganz sicher glaube es werde regiert.

Während solche Bemerkungen aus Myladys
feinem Mündchen hervorgaukelten, schwamm eine
lächelnde Zufriedenheit um die vollen Rosenlippen
Franscheskas. Sie sprach wenig. Ihr Gang
war jedoch nicht mehr so seufzend entsagungsselig,
wie am verflossenen Abend, sie trat vielmehr sieg¬
reich einher, jeder Schritt ein Trompetenton; es
war indessen mehr ein geistlicher Sieg, als ein
weltlicher, der sich in ihren Bewegungen kund
gab, sie war fast das Bild einer triumphirenden
Kirche, und um ihr Haupt schwebte eine unsicht¬

merken. Dagegen aber iſt es die hoͤchſte Politik
der Koͤnige, daß ſie es ganz geheim halten, an
welchen Tagen ſie nicht regieren, daß ſie ſich an
ſolchen Tagen wenigſtens einige Mahl auf den
Regierſtuhl ſetzen, und etwa Federn ſchneiden,
oder Briefkouverts verſiegeln oder weiße Blaͤtter
liniiren, Alles zum Schein, damit das Volk drau¬
ßen, das neugierig in die Fenſter des Palais hin¬
einguckt, ganz ſicher glaube es werde regiert.

Waͤhrend ſolche Bemerkungen aus Myladys
feinem Muͤndchen hervorgaukelten, ſchwamm eine
laͤchelnde Zufriedenheit um die vollen Roſenlippen
Franſcheskas. Sie ſprach wenig. Ihr Gang
war jedoch nicht mehr ſo ſeufzend entſagungsſelig,
wie am verfloſſenen Abend, ſie trat vielmehr ſieg¬
reich einher, jeder Schritt ein Trompetenton; es
war indeſſen mehr ein geiſtlicher Sieg, als ein
weltlicher, der ſich in ihren Bewegungen kund
gab, ſie war faſt das Bild einer triumphirenden
Kirche, und um ihr Haupt ſchwebte eine unſicht¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0093" n="79"/>
merken. Dagegen aber i&#x017F;t es die ho&#x0364;ch&#x017F;te Politik<lb/>
der Ko&#x0364;nige, daß &#x017F;ie es ganz geheim halten, an<lb/>
welchen Tagen &#x017F;ie nicht regieren, daß &#x017F;ie &#x017F;ich an<lb/>
&#x017F;olchen Tagen wenig&#x017F;tens einige Mahl auf den<lb/>
Regier&#x017F;tuhl &#x017F;etzen, und etwa Federn &#x017F;chneiden,<lb/>
oder Briefkouverts ver&#x017F;iegeln oder weiße Bla&#x0364;tter<lb/>
liniiren, Alles zum Schein, damit das Volk drau¬<lb/>
ßen, das neugierig in die Fen&#x017F;ter des Palais hin¬<lb/>
einguckt, ganz &#x017F;icher glaube es werde regiert.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;hrend &#x017F;olche Bemerkungen aus Myladys<lb/>
feinem Mu&#x0364;ndchen hervorgaukelten, &#x017F;chwamm eine<lb/>
la&#x0364;chelnde Zufriedenheit um die vollen Ro&#x017F;enlippen<lb/>
Fran&#x017F;cheskas. Sie &#x017F;prach wenig. Ihr Gang<lb/>
war jedoch nicht mehr &#x017F;o &#x017F;eufzend ent&#x017F;agungs&#x017F;elig,<lb/>
wie am verflo&#x017F;&#x017F;enen Abend, &#x017F;ie trat vielmehr &#x017F;ieg¬<lb/>
reich einher, jeder Schritt ein Trompetenton; es<lb/>
war inde&#x017F;&#x017F;en mehr ein gei&#x017F;tlicher Sieg, als ein<lb/>
weltlicher, der &#x017F;ich in ihren Bewegungen kund<lb/>
gab, &#x017F;ie war fa&#x017F;t das Bild einer triumphirenden<lb/>
Kirche, und um ihr Haupt &#x017F;chwebte eine un&#x017F;icht¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0093] merken. Dagegen aber iſt es die hoͤchſte Politik der Koͤnige, daß ſie es ganz geheim halten, an welchen Tagen ſie nicht regieren, daß ſie ſich an ſolchen Tagen wenigſtens einige Mahl auf den Regierſtuhl ſetzen, und etwa Federn ſchneiden, oder Briefkouverts verſiegeln oder weiße Blaͤtter liniiren, Alles zum Schein, damit das Volk drau¬ ßen, das neugierig in die Fenſter des Palais hin¬ einguckt, ganz ſicher glaube es werde regiert. Waͤhrend ſolche Bemerkungen aus Myladys feinem Muͤndchen hervorgaukelten, ſchwamm eine laͤchelnde Zufriedenheit um die vollen Roſenlippen Franſcheskas. Sie ſprach wenig. Ihr Gang war jedoch nicht mehr ſo ſeufzend entſagungsſelig, wie am verfloſſenen Abend, ſie trat vielmehr ſieg¬ reich einher, jeder Schritt ein Trompetenton; es war indeſſen mehr ein geiſtlicher Sieg, als ein weltlicher, der ſich in ihren Bewegungen kund gab, ſie war faſt das Bild einer triumphirenden Kirche, und um ihr Haupt ſchwebte eine unſicht¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/93
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/93>, abgerufen am 21.11.2024.