so hatten mich ihre behenden sichren Füße nie entzückt, und nie so ihre braunen sich hebenden Locken über den schönen weißen Hals, samt aller ihrer Kleidung. Wir schwebten um einander wie klare lichte Empfindung; sie schien zu fühlen was ich fühlte, und zitterte auf die letzt vor Bangigkeit, so daß wir plötzlich aufhören muß- ten.
Noch dieselbe Nacht ward eine Verrätherey gegen sie ausgedacht und vollführt. Ich stahl mich mit Fulvien vom Ball weg, und diese ver- barg mich in einen großen Schrank, der in Lucindens Schlafzimmer stand, worin einige alte Familienkostbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich allein, und kam unbemerkt wieder zurück.
Lucinde machte sich gleich darauf vom Tanz- saal; ich erbebte vor Schrecken und Lust, wie ich sie hereinrauschen hörte. Sie sang alsdenn beym Auskleiden ein provenzalisch Lied, mit einer Stimme, woraus die Töne so gefühlig und rein
wie
ſo hatten mich ihre behenden ſichren Fuͤße nie entzuͤckt, und nie ſo ihre braunen ſich hebenden Locken uͤber den ſchoͤnen weißen Hals, ſamt aller ihrer Kleidung. Wir ſchwebten um einander wie klare lichte Empfindung; ſie ſchien zu fuͤhlen was ich fuͤhlte, und zitterte auf die letzt vor Bangigkeit, ſo daß wir ploͤtzlich aufhoͤren muß- ten.
Noch dieſelbe Nacht ward eine Verraͤtherey gegen ſie ausgedacht und vollfuͤhrt. Ich ſtahl mich mit Fulvien vom Ball weg, und dieſe ver- barg mich in einen großen Schrank, der in Lucindens Schlafzimmer ſtand, worin einige alte Familienkoſtbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich allein, und kam unbemerkt wieder zuruͤck.
Lucinde machte ſich gleich darauf vom Tanz- ſaal; ich erbebte vor Schrecken und Luſt, wie ich ſie hereinrauſchen hoͤrte. Sie ſang alsdenn beym Auskleiden ein provenzaliſch Lied, mit einer Stimme, woraus die Toͤne ſo gefuͤhlig und rein
wie
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ſo hatten mich ihre behenden ſichren Fuͤße nie
entzuͤckt, und nie ſo ihre braunen ſich hebenden
Locken uͤber den ſchoͤnen weißen Hals, ſamt aller
ihrer Kleidung. Wir ſchwebten um einander
wie klare lichte Empfindung; ſie ſchien zu fuͤhlen
was ich fuͤhlte, und zitterte auf die letzt vor
Bangigkeit, ſo daß wir ploͤtzlich aufhoͤren muß-
ten.
Noch dieſelbe Nacht ward eine Verraͤtherey
gegen ſie ausgedacht und vollfuͤhrt. Ich ſtahl
mich mit Fulvien vom Ball weg, und dieſe ver-
barg mich in einen großen Schrank, der in
Lucindens Schlafzimmer ſtand, worin einige alte
Familienkoſtbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich
allein, und kam unbemerkt wieder zuruͤck.
Lucinde machte ſich gleich darauf vom Tanz-
ſaal; ich erbebte vor Schrecken und Luſt, wie
ich ſie hereinrauſchen hoͤrte. Sie ſang alsdenn
beym Auskleiden ein provenzaliſch Lied, mit einer
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/225>, abgerufen am 21.11.2024.
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