werth: in mir ist jede Fieber Wunde; aber seyd glücklich mit einander, rein und ohne Flecken."
Sie blieb wie eine Säule stehen, las die Zei- len ihrer Hand, und zerpflückte darauf langsam mit den Zähnen das Blat Stückchen vor Stück- chen, indeß ich von ihr ging, und mir die Thrä- nen in die Augen tobten.
Dieß geschah nach der Mittagsmahlzeit. Fulvia, die von diesem allen jedoch nichts wußte, und auch nie erfahren soll, berichtete mir, daß sie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeschlossen gewesen wäre, und sie Niemand weiter gesehen hät- te, bis spät den andern Morgen, wo man mit einem andern Schlüssel dasselbe aufgemacht, und sie in ih- rer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Hände ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und seuf- zend mit vor sich niedergeschlagnen unverwand- ten Augen. Weder Fulvia, noch der Bräuti- gam, noch irgend Jemand hat nach der Zeit ein Wort von ihr herausbringen können, so daß sie völlig die Sprache verloren zu haben scheint.
Sie
werth: in mir iſt jede Fieber Wunde; aber ſeyd gluͤcklich mit einander, rein und ohne Flecken.“
Sie blieb wie eine Saͤule ſtehen, las die Zei- len ihrer Hand, und zerpfluͤckte darauf langſam mit den Zaͤhnen das Blat Stuͤckchen vor Stuͤck- chen, indeß ich von ihr ging, und mir die Thraͤ- nen in die Augen tobten.
Dieß geſchah nach der Mittagsmahlzeit. Fulvia, die von dieſem allen jedoch nichts wußte, und auch nie erfahren ſoll, berichtete mir, daß ſie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeſchloſſen geweſen waͤre, und ſie Niemand weiter geſehen haͤt- te, bis ſpaͤt den andern Morgen, wo man mit einem andern Schluͤſſel daſſelbe aufgemacht, und ſie in ih- rer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Haͤnde ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und ſeuf- zend mit vor ſich niedergeſchlagnen unverwand- ten Augen. Weder Fulvia, noch der Braͤuti- gam, noch irgend Jemand hat nach der Zeit ein Wort von ihr herausbringen koͤnnen, ſo daß ſie voͤllig die Sprache verloren zu haben ſcheint.
Sie
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werth: in mir iſt jede Fieber Wunde; aber ſeyd
gluͤcklich mit einander, rein und ohne Flecken.“
Sie blieb wie eine Saͤule ſtehen, las die Zei-
len ihrer Hand, und zerpfluͤckte darauf langſam
mit den Zaͤhnen das Blat Stuͤckchen vor Stuͤck-
chen, indeß ich von ihr ging, und mir die Thraͤ-
nen in die Augen tobten.
Dieß geſchah nach der Mittagsmahlzeit.
Fulvia, die von dieſem allen jedoch nichts wußte,
und auch nie erfahren ſoll, berichtete mir, daß
ſie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeſchloſſen
geweſen waͤre, und ſie Niemand weiter geſehen haͤt-
te, bis ſpaͤt den andern Morgen, wo man mit einem
andern Schluͤſſel daſſelbe aufgemacht, und ſie in ih-
rer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Haͤnde
ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und ſeuf-
zend mit vor ſich niedergeſchlagnen unverwand-
ten Augen. Weder Fulvia, noch der Braͤuti-
gam, noch irgend Jemand hat nach der Zeit ein
Wort von ihr herausbringen koͤnnen, ſo daß ſie
voͤllig die Sprache verloren zu haben ſcheint.
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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