gen die Tuneser sein Ende zu finden; und ich ha- be mich so auf den Weg nach Florenz gemacht. O Natur, deine schönste Zierde ist zerrüttet und zu Grunde gerichtet! das arme Mädchen zur Lust erschaffen und aller Augen und Herzen zu entzü- cken hat nie die höchste Süßigkeit des Daseyns gekostet, und lebt nun ein unaufhörlich Gefühl von unaussprechlichem tiefen Leiden.
Du hast so etwas nicht erfahren, und kannst dies folglich auch nicht denken; so schön, so rei- zend, so geliebt, so liebend, und so voll Geist: und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zusam- menhang; dasselbe nicht mehr dasselbe, es ist gräß- lich! Wer sie kennt, vergießt Thränen über ihr Schicksal; ganz Genua trauert. Weide dich, barbarische Moral, Feindin des Lebendigen, mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!
Aber auch ich, o Gott, wo werden mich meine heftigen Leidenschaften nicht noch hinrei- ßen! ach, ich habe ihren Zügel nicht so am sichern Griff, daß sie auf, halsbrechenden Wegen nicht
ein-
gen die Tuneſer ſein Ende zu finden; und ich ha- be mich ſo auf den Weg nach Florenz gemacht. O Natur, deine ſchoͤnſte Zierde iſt zerruͤttet und zu Grunde gerichtet! das arme Maͤdchen zur Luſt erſchaffen und aller Augen und Herzen zu entzuͤ- cken hat nie die hoͤchſte Suͤßigkeit des Daſeyns gekoſtet, und lebt nun ein unaufhoͤrlich Gefuͤhl von unausſprechlichem tiefen Leiden.
Du haſt ſo etwas nicht erfahren, und kannſt dies folglich auch nicht denken; ſo ſchoͤn, ſo rei- zend, ſo geliebt, ſo liebend, und ſo voll Geiſt: und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zuſam- menhang; daſſelbe nicht mehr daſſelbe, es iſt graͤß- lich! Wer ſie kennt, vergießt Thraͤnen uͤber ihr Schickſal; ganz Genua trauert. Weide dich, barbariſche Moral, Feindin des Lebendigen, mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!
Aber auch ich, o Gott, wo werden mich meine heftigen Leidenſchaften nicht noch hinrei- ßen! ach, ich habe ihren Zuͤgel nicht ſo am ſichern Griff, daß ſie auf, halsbrechenden Wegen nicht
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gen die Tuneſer ſein Ende zu finden; und ich ha-
be mich ſo auf den Weg nach Florenz gemacht.
O Natur, deine ſchoͤnſte Zierde iſt zerruͤttet und
zu Grunde gerichtet! das arme Maͤdchen zur Luſt
erſchaffen und aller Augen und Herzen zu entzuͤ-
cken hat nie die hoͤchſte Suͤßigkeit des Daſeyns
gekoſtet, und lebt nun ein unaufhoͤrlich Gefuͤhl
von unausſprechlichem tiefen Leiden.
Du haſt ſo etwas nicht erfahren, und kannſt
dies folglich auch nicht denken; ſo ſchoͤn, ſo rei-
zend, ſo geliebt, ſo liebend, und ſo voll Geiſt:
und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zuſam-
menhang; daſſelbe nicht mehr daſſelbe, es iſt graͤß-
lich! Wer ſie kennt, vergießt Thraͤnen uͤber ihr
Schickſal; ganz Genua trauert. Weide dich,
barbariſche Moral, Feindin des Lebendigen,
mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!
Aber auch ich, o Gott, wo werden mich
meine heftigen Leidenſchaften nicht noch hinrei-
ßen! ach, ich habe ihren Zuͤgel nicht ſo am ſichern
Griff, daß ſie auf, halsbrechenden Wegen nicht
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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