cher Beschaffenheit seyn, dass es die Fesseln lös't, in welchen ein Subject befangen seyn würde, das nur bloss Gegenstände, aber niemals Sich, kennen lernte.
Die Forderung, unser Vorgestelltes müsse uns über sich selbst hinausheben, damit wir zu Uns kommen, ist eine besondere, enthalten unter einer allgemeinern, wel- che so lautet: unser Vorgestelltes muss uns auf gewisse Weise aus dem Vorstellen seiner selbst herausversetzen.
Nun ist es ein Widerspruch, dass irgend ein be- stimmtes Vorgestelltes A, selbst den Actus des Vorstel- lens von A zu verändern, oder zu vermindern geeignet seyn sollte. Auf die Weise müsste A sich selbst entge- gengesetzt seyn.
Da nun kein Vorstellen, für sich einzeln genommen, als das Vorstellen eines bestimmten A, oder B, oder C, und so weiter, uns aus sich selbst herausversetzen kann: so bleibt nichts übrig, als dass verschiedenes Vor- stellen, so fern es durch seine verschiedenen Vorgestell- ten als ein solches und anderes bestimmt ist, sich gegen- seitig vermindere; dass eins uns aus dem andern her- ausversetze.
Es müssen also die mannigfaltigen Vorstel- lungen sich unter einander aufheben, wenn die Ichheit möglich seyn soll.
Dieser Satz ist das Resultat, bey welchem wir ver- weilen werden. Dass ihn die Erfahrung bestätigt, lässt sich sogleich zeigen; dass er im höchsten Grade frucht- bar ist, wird sich tiefer unten ergeben.
Die innere Wahrnehmung lehrt, dass gleich unsre einfachsten sinnlichen Empfindungen verschiedene Reihen bilden, deren jede eine zahllose Menge solcher Vorstel- lungen einschliesst, die in allen möglichen Graden von Gegensätzen stehn. Die verschiedenen Farben verdrän- gen einander im Bewusstseyn, die Gestalten desgleichen; nicht minder die verschiedenen Töne, Gerüche, Ge- schmacks- und Gefühls-Empfindungen. Wir können die
cher Beschaffenheit seyn, daſs es die Fesseln lös’t, in welchen ein Subject befangen seyn würde, das nur bloſs Gegenstände, aber niemals Sich, kennen lernte.
Die Forderung, unser Vorgestelltes müsse uns über sich selbst hinausheben, damit wir zu Uns kommen, ist eine besondere, enthalten unter einer allgemeinern, wel- che so lautet: unser Vorgestelltes muſs uns auf gewisse Weise aus dem Vorstellen seiner selbst herausversetzen.
Nun ist es ein Widerspruch, daſs irgend ein be- stimmtes Vorgestelltes A, selbst den Actus des Vorstel- lens von A zu verändern, oder zu vermindern geeignet seyn sollte. Auf die Weise müſste A sich selbst entge- gengesetzt seyn.
Da nun kein Vorstellen, für sich einzeln genommen, als das Vorstellen eines bestimmten A, oder B, oder C, und so weiter, uns aus sich selbst herausversetzen kann: so bleibt nichts übrig, als daſs verschiedenes Vor- stellen, so fern es durch seine verschiedenen Vorgestell- ten als ein solches und anderes bestimmt ist, sich gegen- seitig vermindere; daſs eins uns aus dem andern her- ausversetze.
Es müssen also die mannigfaltigen Vorstel- lungen sich unter einander aufheben, wenn die Ichheit möglich seyn soll.
Dieser Satz ist das Resultat, bey welchem wir ver- weilen werden. Daſs ihn die Erfahrung bestätigt, läſst sich sogleich zeigen; daſs er im höchsten Grade frucht- bar ist, wird sich tiefer unten ergeben.
Die innere Wahrnehmung lehrt, daſs gleich unsre einfachsten sinnlichen Empfindungen verschiedene Reihen bilden, deren jede eine zahllose Menge solcher Vorstel- lungen einschlieſst, die in allen möglichen Graden von Gegensätzen stehn. Die verschiedenen Farben verdrän- gen einander im Bewuſstseyn, die Gestalten desgleichen; nicht minder die verschiedenen Töne, Gerüche, Ge- schmacks- und Gefühls-Empfindungen. Wir können die
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cher Beschaffenheit seyn, daſs es die Fesseln lös’t, in
welchen ein Subject befangen seyn würde, das nur bloſs
Gegenstände, aber niemals Sich, kennen lernte.
Die Forderung, unser Vorgestelltes müsse uns über
sich selbst hinausheben, damit wir zu Uns kommen, ist
eine besondere, enthalten unter einer allgemeinern, wel-
che so lautet: unser Vorgestelltes muſs uns auf
gewisse Weise aus dem Vorstellen seiner selbst
herausversetzen.
Nun ist es ein Widerspruch, daſs irgend ein be-
stimmtes Vorgestelltes A, selbst den Actus des Vorstel-
lens von A zu verändern, oder zu vermindern geeignet
seyn sollte. Auf die Weise müſste A sich selbst entge-
gengesetzt seyn.
Da nun kein Vorstellen, für sich einzeln genommen,
als das Vorstellen eines bestimmten A, oder B, oder C,
und so weiter, uns aus sich selbst herausversetzen
kann: so bleibt nichts übrig, als daſs verschiedenes Vor-
stellen, so fern es durch seine verschiedenen Vorgestell-
ten als ein solches und anderes bestimmt ist, sich gegen-
seitig vermindere; daſs eins uns aus dem andern her-
ausversetze.
Es müssen also die mannigfaltigen Vorstel-
lungen sich unter einander aufheben, wenn die
Ichheit möglich seyn soll.
Dieser Satz ist das Resultat, bey welchem wir ver-
weilen werden. Daſs ihn die Erfahrung bestätigt, läſst
sich sogleich zeigen; daſs er im höchsten Grade frucht-
bar ist, wird sich tiefer unten ergeben.
Die innere Wahrnehmung lehrt, daſs gleich unsre
einfachsten sinnlichen Empfindungen verschiedene Reihen
bilden, deren jede eine zahllose Menge solcher Vorstel-
lungen einschlieſst, die in allen möglichen Graden von
Gegensätzen stehn. Die verschiedenen Farben verdrän-
gen einander im Bewuſstseyn, die Gestalten desgleichen;
nicht minder die verschiedenen Töne, Gerüche, Ge-
schmacks- und Gefühls-Empfindungen. Wir können die
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/128>, abgerufen am 21.11.2024.
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