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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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Vorstellung des Blauen nicht vollkommen vesthalten, wenn
die des Rothen dazu kommt; die Contraste beschäfftigen
uns, indem sie uns anstrengen; aber eine bedeutende
Menge des Contrastirenden macht, dass die Auffassung
erliegt. Auf solche Weise kommt Bewegung ins Ge-
müth; und nicht bloss Bewegung, sondern auch Bildung.
Diese flüchtige Erwähnung der Thatsachen muss vorläufig
genügen.

§. 30.

Bey der allgemeinen Gewöhnung, in dem Subjecte
des Bewusstseyns alle die nöthigen Vermögen, Thätigkei-
ten, Formen und Gesetze anzunehmen, welche die Er-
klärung psychologischer Thatsachen nur immer fordern
möchte, lässt sich auch erwarten, dass man das nächst-
vorhergehende Räsonnement eines Sprunges beschuldigen
werde; indem es in den Gegensätzen des Vorgestellten
dasjenige suche, was man in der Natur des denkenden
Subjects viel besser voraussetzen könne. Wir wollen
demnach, um den Grund unserer Untersuchung genug-
sam zu bevestigen, uns auf das vermeinte Vermögen der
Selbst-Anschauung noch einmal einlassen, um zu über-
legen, was für ein Vermögen es denn eigentlich seyn
solle.

1) Ein Vermögen, Sich schlechthin zu setzen,
oder auch, das: Ich denke, zu allen unsern Vorstel-
lungen schlechthin von selbst hinzuzusetzen; ein
solches verlangt man nun hoffentlich nicht mehr, da wir
im §. 27. die Masse von Ungereimtheiten gezeigt haben,
welche für real, ja für sein eignes Wesen zu halten,
demjenigen würde angemuthet werden, welcher also Sich
selbst setzen sollte. (Man vergleiche noch §. 26.)

2) Ein Vermögen, erst etwas objectives, etwas an-
deres als das Ich, zu denken, dann aber durch einen
absoluten Aufsprung sich selbst in diesem Den-
ken zu ergreifen
, -- würde um nichts weiter führen.
Zugegeben, dass in dem Subjecte ein Vermögen zu ei-
nem solchen Aufsprunge seyn könne (welches aus allge-

Vorstellung des Blauen nicht vollkommen vesthalten, wenn
die des Rothen dazu kommt; die Contraste beschäfftigen
uns, indem sie uns anstrengen; aber eine bedeutende
Menge des Contrastirenden macht, daſs die Auffassung
erliegt. Auf solche Weise kommt Bewegung ins Ge-
müth; und nicht bloſs Bewegung, sondern auch Bildung.
Diese flüchtige Erwähnung der Thatsachen muſs vorläufig
genügen.

§. 30.

Bey der allgemeinen Gewöhnung, in dem Subjecte
des Bewuſstseyns alle die nöthigen Vermögen, Thätigkei-
ten, Formen und Gesetze anzunehmen, welche die Er-
klärung psychologischer Thatsachen nur immer fordern
möchte, läſst sich auch erwarten, daſs man das nächst-
vorhergehende Räsonnement eines Sprunges beschuldigen
werde; indem es in den Gegensätzen des Vorgestellten
dasjenige suche, was man in der Natur des denkenden
Subjects viel besser voraussetzen könne. Wir wollen
demnach, um den Grund unserer Untersuchung genug-
sam zu bevestigen, uns auf das vermeinte Vermögen der
Selbst-Anschauung noch einmal einlassen, um zu über-
legen, was für ein Vermögen es denn eigentlich seyn
solle.

1) Ein Vermögen, Sich schlechthin zu setzen,
oder auch, das: Ich denke, zu allen unsern Vorstel-
lungen schlechthin von selbst hinzuzusetzen; ein
solches verlangt man nun hoffentlich nicht mehr, da wir
im §. 27. die Masse von Ungereimtheiten gezeigt haben,
welche für real, ja für sein eignes Wesen zu halten,
demjenigen würde angemuthet werden, welcher also Sich
selbst setzen sollte. (Man vergleiche noch §. 26.)

2) Ein Vermögen, erst etwas objectives, etwas an-
deres als das Ich, zu denken, dann aber durch einen
absoluten Aufsprung sich selbst in diesem Den-
ken zu ergreifen
, — würde um nichts weiter führen.
Zugegeben, daſs in dem Subjecte ein Vermögen zu ei-
nem solchen Aufsprunge seyn könne (welches aus allge-

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[109/0129] Vorstellung des Blauen nicht vollkommen vesthalten, wenn die des Rothen dazu kommt; die Contraste beschäfftigen uns, indem sie uns anstrengen; aber eine bedeutende Menge des Contrastirenden macht, daſs die Auffassung erliegt. Auf solche Weise kommt Bewegung ins Ge- müth; und nicht bloſs Bewegung, sondern auch Bildung. Diese flüchtige Erwähnung der Thatsachen muſs vorläufig genügen. §. 30. Bey der allgemeinen Gewöhnung, in dem Subjecte des Bewuſstseyns alle die nöthigen Vermögen, Thätigkei- ten, Formen und Gesetze anzunehmen, welche die Er- klärung psychologischer Thatsachen nur immer fordern möchte, läſst sich auch erwarten, daſs man das nächst- vorhergehende Räsonnement eines Sprunges beschuldigen werde; indem es in den Gegensätzen des Vorgestellten dasjenige suche, was man in der Natur des denkenden Subjects viel besser voraussetzen könne. Wir wollen demnach, um den Grund unserer Untersuchung genug- sam zu bevestigen, uns auf das vermeinte Vermögen der Selbst-Anschauung noch einmal einlassen, um zu über- legen, was für ein Vermögen es denn eigentlich seyn solle. 1) Ein Vermögen, Sich schlechthin zu setzen, oder auch, das: Ich denke, zu allen unsern Vorstel- lungen schlechthin von selbst hinzuzusetzen; ein solches verlangt man nun hoffentlich nicht mehr, da wir im §. 27. die Masse von Ungereimtheiten gezeigt haben, welche für real, ja für sein eignes Wesen zu halten, demjenigen würde angemuthet werden, welcher also Sich selbst setzen sollte. (Man vergleiche noch §. 26.) 2) Ein Vermögen, erst etwas objectives, etwas an- deres als das Ich, zu denken, dann aber durch einen absoluten Aufsprung sich selbst in diesem Den- ken zu ergreifen, — würde um nichts weiter führen. Zugegeben, daſs in dem Subjecte ein Vermögen zu ei- nem solchen Aufsprunge seyn könne (welches aus allge-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/129>, abgerufen am 21.11.2024.