den, um ganz neuen Platz zu machen. Da äussern sich diese Stoffe selbst als Kräfte; -- und es mag wohl erlaubt seyn, dieses Gleichniss als eine entfernte An- deutung dessen zu benutzen, was unser mannigfaltiges Vorgestelltes, indem es sich in Einem Vorstellen zusam- menfindet, mit einander macht; um so mehr, da wir an den Harmonien und Disharmonien, nicht bloss zusam- mentreffender Töne, sondern aller Arten von Gegenstän- den, welche ästhetischer Verhältnisse fähig sind, die kla- ren Beyspiele davon haben. -- Aber nimmermehr ist er- hört gewesen, dass aus Stoffen, die sich passiv verhal- ten, eine hinzukommende Thätigkeit etwas gemacht hätte, das der Beschaffenheit dieser Stoffe selbst entge- gengesetzt gewesen wäre. Dazu gehört eine innere Ver- wandlung; und diese ist einer neuen Production gleich zu achten. Kann irgend ein Geistesvermögen aus Vorstellungen, die zum Nicht-Ich zu zählen sind, die Ichheit bereiten: so mag dasselbe Ver- mögen immerhin auch ein Ich absolut consti- tuiren. Da aber das letzte, laut den geführten Be- weisen, ein völliger Ungedanke ist, so ist es auch das erste.
Man lasse also endlich die Geistesvermögen, wo- durch unser Vorgestelltes, als ob es ein todter Vorrath wäre, soll umgebildet werden, ein- für allemal gänzlich fahren! Dagegen besinne man sich auf das Leben und Streben in jeder einzelnen Vorstellung; welches Leben genau zusammenhängt mit der Qualität des Vorgestell- ten, und sich daher mit andern Vorstellungen nur in so fern verträgt, als zwischen den Vorgestellten keine Ge- gensätze sind. So verträgt sich der Ton mit der Farbe; aber die Töne unter einander, die Farben unter einan- der, als Vorstellungen in uns, widerstreben sich nach dem Maasse ihrer Gegensätze und ihrer Stärke.
Uebrigens würde dieser ganze Paragraph in einer, auf allgemeine Metaphysik mit streng systematischer Kürze aufgebauten Psychologie, völlig unnöthig seyn, weil die-
den, um ganz neuen Platz zu machen. Da äuſsern sich diese Stoffe selbst als Kräfte; — und es mag wohl erlaubt seyn, dieses Gleichniſs als eine entfernte An- deutung dessen zu benutzen, was unser mannigfaltiges Vorgestelltes, indem es sich in Einem Vorstellen zusam- menfindet, mit einander macht; um so mehr, da wir an den Harmonien und Disharmonien, nicht bloſs zusam- mentreffender Töne, sondern aller Arten von Gegenstän- den, welche ästhetischer Verhältnisse fähig sind, die kla- ren Beyspiele davon haben. — Aber nimmermehr ist er- hört gewesen, daſs aus Stoffen, die sich passiv verhal- ten, eine hinzukommende Thätigkeit etwas gemacht hätte, das der Beschaffenheit dieser Stoffe selbst entge- gengesetzt gewesen wäre. Dazu gehört eine innere Ver- wandlung; und diese ist einer neuen Production gleich zu achten. Kann irgend ein Geistesvermögen aus Vorstellungen, die zum Nicht-Ich zu zählen sind, die Ichheit bereiten: so mag dasselbe Ver- mögen immerhin auch ein Ich absolut consti- tuiren. Da aber das letzte, laut den geführten Be- weisen, ein völliger Ungedanke ist, so ist es auch das erste.
Man lasse also endlich die Geistesvermögen, wo- durch unser Vorgestelltes, als ob es ein todter Vorrath wäre, soll umgebildet werden, ein- für allemal gänzlich fahren! Dagegen besinne man sich auf das Leben und Streben in jeder einzelnen Vorstellung; welches Leben genau zusammenhängt mit der Qualität des Vorgestell- ten, und sich daher mit andern Vorstellungen nur in so fern verträgt, als zwischen den Vorgestellten keine Ge- gensätze sind. So verträgt sich der Ton mit der Farbe; aber die Töne unter einander, die Farben unter einan- der, als Vorstellungen in uns, widerstreben sich nach dem Maaſse ihrer Gegensätze und ihrer Stärke.
Uebrigens würde dieser ganze Paragraph in einer, auf allgemeine Metaphysik mit streng systematischer Kürze aufgebauten Psychologie, völlig unnöthig seyn, weil die-
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den, um ganz neuen Platz zu machen. Da äuſsern sich
diese Stoffe selbst als Kräfte; — und es mag wohl
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deutung dessen zu benutzen, was unser mannigfaltiges
Vorgestelltes, indem es sich in Einem Vorstellen zusam-
menfindet, mit einander macht; um so mehr, da wir an
den Harmonien und Disharmonien, nicht bloſs zusam-
mentreffender Töne, sondern aller Arten von Gegenstän-
den, welche ästhetischer Verhältnisse fähig sind, die kla-
ren Beyspiele davon haben. — Aber nimmermehr ist er-
hört gewesen, daſs aus Stoffen, die sich passiv verhal-
ten, eine hinzukommende Thätigkeit etwas gemacht
hätte, das der Beschaffenheit dieser Stoffe selbst entge-
gengesetzt gewesen wäre. Dazu gehört eine innere Ver-
wandlung; und diese ist einer neuen Production gleich
zu achten. Kann irgend ein Geistesvermögen aus
Vorstellungen, die zum Nicht-Ich zu zählen
sind, die Ichheit bereiten: so mag dasselbe Ver-
mögen immerhin auch ein Ich absolut consti-
tuiren. Da aber das letzte, laut den geführten Be-
weisen, ein völliger Ungedanke ist, so ist es auch das
erste.
Man lasse also endlich die Geistesvermögen, wo-
durch unser Vorgestelltes, als ob es ein todter Vorrath
wäre, soll umgebildet werden, ein- für allemal gänzlich
fahren! Dagegen besinne man sich auf das Leben und
Streben in jeder einzelnen Vorstellung; welches Leben
genau zusammenhängt mit der Qualität des Vorgestell-
ten, und sich daher mit andern Vorstellungen nur in so
fern verträgt, als zwischen den Vorgestellten keine Ge-
gensätze sind. So verträgt sich der Ton mit der Farbe;
aber die Töne unter einander, die Farben unter einan-
der, als Vorstellungen in uns, widerstreben sich nach
dem Maaſse ihrer Gegensätze und ihrer Stärke.
Uebrigens würde dieser ganze Paragraph in einer,
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/131>, abgerufen am 21.11.2024.
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