Aeusserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses, dass sie ganz und gar in ein blosses Streben vorzustellen verwandelt, oder dass der Rest des wirklichen Vorstel- lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze; denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine unmögliche Grösse.
Aus r = o folgt
[Formel 1]
. Wofern c im Ver- hältniss zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel: so ist jede nähere Bestimmung seiner Grösse für die obige Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der- selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe- sen wäre. Der Zustand des Bewusstseyns also, in wie- fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht ab von c; -- noch viel weniger aber von was immer für noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un- endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne dass sie im geringsten im Bewusstseyn zu spü- ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu- stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen wäre und bliebe.
Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe- matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluss dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder. Wir alle bemerken an uns, dass von unserm sämmtli- chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk- lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe- sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu- stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, dass es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim-
Aeuſserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses, daſs sie ganz und gar in ein bloſses Streben vorzustellen verwandelt, oder daſs der Rest des wirklichen Vorstel- lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze; denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine unmögliche Gröſse.
Aus r = o folgt
[Formel 1]
. Wofern c im Ver- hältniſs zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel: so ist jede nähere Bestimmung seiner Gröſse für die obige Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der- selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe- sen wäre. Der Zustand des Bewuſstseyns also, in wie- fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht ab von c; — noch viel weniger aber von was immer für noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un- endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne daſs sie im geringsten im Bewuſstseyn zu spü- ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu- stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen wäre und bliebe.
Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe- matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluſs dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder. Wir alle bemerken an uns, daſs von unserm sämmtli- chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk- lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe- sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu- stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, daſs es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0194"n="174"/>
Aeuſserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses,<lb/>
daſs sie ganz und gar in ein bloſses Streben vorzustellen<lb/>
verwandelt, oder daſs der Rest des wirklichen Vorstel-<lb/>
lens = <hirendition="#i">o</hi> werde. Die Gleichung <hirendition="#i">r</hi> = <hirendition="#i">o</hi> setzt daher der<lb/>
Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze;<lb/>
denn ein negatives <hirendition="#i">r</hi> ist in unserm Falle so gut als eine<lb/>
unmögliche Gröſse.</p><lb/><p>Aus <hirendition="#i">r</hi> = <hirendition="#i">o</hi> folgt <formula/>. Wofern <hirendition="#i">c</hi> im Ver-<lb/>
hältniſs zu <hirendition="#i">b</hi> und <hirendition="#i">a</hi> kleiner ist, als nach dieser Formel:<lb/>
so ist jede nähere Bestimmung seiner Gröſse für die obige<lb/>
Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf<lb/>
allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der<lb/>
Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der-<lb/>
selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen <hirendition="#g">ihren</hi><lb/>
Beytrag gerade so, als ob <hirendition="#i">c</hi> gar nicht vorhanden gewe-<lb/>
sen wäre. Der Zustand des Bewuſstseyns also, in wie-<lb/>
fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht<lb/>
ab von <hirendition="#i">c;</hi>— noch viel weniger aber von was immer für<lb/><hirendition="#g">noch schwächeren</hi> Vorstellungen, <hirendition="#g">deren eine un-<lb/>
endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne<lb/>
daſs sie im geringsten im Bewuſstseyn zu spü-<lb/>
ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu-<lb/>
stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen<lb/>
wäre und bliebe</hi>.</p><lb/><p>Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe-<lb/>
matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluſs<lb/>
dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder.<lb/>
Wir alle bemerken an uns, daſs von unserm sämmtli-<lb/>
chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen<lb/>
Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk-<lb/>
lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige<lb/>
Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe-<lb/>
sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz<lb/>
gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu-<lb/>
stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, daſs<lb/>
es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[174/0194]
Aeuſserte, was einer Vorstellung begegnen kann, dieses,
daſs sie ganz und gar in ein bloſses Streben vorzustellen
verwandelt, oder daſs der Rest des wirklichen Vorstel-
lens = o werde. Die Gleichung r = o setzt daher der
Anwendbarkeit der vorigen Rechnungsart eine Gränze;
denn ein negatives r ist in unserm Falle so gut als eine
unmögliche Gröſse.
Aus r = o folgt [FORMEL]. Wofern c im Ver-
hältniſs zu b und a kleiner ist, als nach dieser Formel:
so ist jede nähere Bestimmung seiner Gröſse für die obige
Hemmungsrechnung ganz gleichgültig; denn es wird auf
allen Fall ganz gehemmt; daher ist sein Antheil an der
Hemmungssumme gerade gleich seinem Beytrage zu der-
selben, und die stärkeren Vorstellungen theilen ihren
Beytrag gerade so, als ob c gar nicht vorhanden gewe-
sen wäre. Der Zustand des Bewuſstseyns also, in wie-
fern er statisch bestimmt werden kann, hängt gar nicht
ab von c; — noch viel weniger aber von was immer für
noch schwächeren Vorstellungen, deren eine un-
endliche Anzahl vorhanden seyn möchte, ohne
daſs sie im geringsten im Bewuſstseyn zu spü-
ren seyn würden, so lange dasselbe im Zu-
stande des Gleichgewichts aller Vorstellungen
wäre und bliebe.
Dieser Satz, der sich hier mit der höchsten mathe-
matischen Evidenz ergiebt, bietet uns nun den Aufschluſs
dar über das allgemeinste aller psychologischen Wunder.
Wir alle bemerken an uns, daſs von unserm sämmtli-
chen Wissen, Denken, Wünschen, in jedem einzelnen
Augenblicke eine unvergleichbar kleinere Menge uns wirk-
lich beschäfftigt, als diejenige ist, welche auf gehörige
Veranlassung in uns hervortreten könnte. Dieses abwe-
sende, aber nicht entlaufene, sondern in unserm Besitz
gebliebene und verharrende Wissen, in welchem Zu-
stande befindet es sich in uns? Wie geht es zu, daſs
es, obschon vorhanden, dennoch nicht eher zur Bestim-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/194>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.