zur Kenntniss der Thatsachen unseres Bewusstseyns ge- langen. Wir sind zum Beyspiel eine Strecke gegangen; ganz in Gedanken vertieft; aber die Stelle, wo wir uns jetzo befinden, verräth, wie weit unsre Schritte uns ge- tragen haben. Oder wir haben Jemanden die Zeitung vorgelesen, ohne Interesse und Aufmerksamkeit; so wis- sen wir vielleicht Nichts von mehrern Zeilen, die doch der Zuhörer gar wohl vernommen hat. Oder, mitten im Phantasiren an einem Instrumente sind unsre Gedanken von der Musik abgekommen; und während wir mit ganz andern Gegenständen uns lebhaft beschäfftigen, stört uns ein Anwesender mit Bemerkungen über das was wir so eben gespielt haben. So erfahren wir hintennach, was alles durch unsern Kopf gegangen ist. -- Es ist hier der Ort, einer Zweydeutigkeit zu gedenken, an welche der Leser schon kann gestossen seyn. Thatsachen des Be- wusstseyns würden im engsten Sinne nur die innerlich beobachteten seyn. Durch diese Bestimmung des Be- griffs wären nicht bloss diejenigen Vorstellungen ausge- schlossen, welche wegen ihrer Dunkelheit unbemerkt blei- ben: sondern auch das active Beobachten, sofern es nicht wiederum in einer höhern Reflexion ein Beobach- tetes wird. Aber das active Wissen gehört gewiss mit zum Bewusstseyn, wenn es nicht selbst ein Gewusstes wird. Und die dunkeln Vorstellungen verdunkeln sich so allmählig, dass das innerlich Beobachtete von dem, was sich der Beobachtung entzieht, nicht kann scharf abge- schnitten werden. Ueberdies wird Niemand bezweifeln, dass das Beobachtete mit dem Nicht-Beobachteten in ei- nem unzertrennlichen Zusammenhange fortlaufender Ge- müths-Thätigkeit stehe. Daher rechnen wir zu den Thatsachen des Bewusstseyns alles wirkliche Vorstellen; und folglich zu den Arten, sie zu erfah- ren, auch die Beobachtung der Producte unserer vorstel- lenden Thätigkeit, sollte auch die innere Wahrnehmung unseres Thuns gemangelt haben.
Bekannte Beyspiele zu häufen, wäre unnütz. Aber
zur Kenntniſs der Thatsachen unseres Bewuſstseyns ge- langen. Wir sind zum Beyspiel eine Strecke gegangen; ganz in Gedanken vertieft; aber die Stelle, wo wir uns jetzo befinden, verräth, wie weit unsre Schritte uns ge- tragen haben. Oder wir haben Jemanden die Zeitung vorgelesen, ohne Interesse und Aufmerksamkeit; so wis- sen wir vielleicht Nichts von mehrern Zeilen, die doch der Zuhörer gar wohl vernommen hat. Oder, mitten im Phantasiren an einem Instrumente sind unsre Gedanken von der Musik abgekommen; und während wir mit ganz andern Gegenständen uns lebhaft beschäfftigen, stört uns ein Anwesender mit Bemerkungen über das was wir so eben gespielt haben. So erfahren wir hintennach, was alles durch unsern Kopf gegangen ist. — Es ist hier der Ort, einer Zweydeutigkeit zu gedenken, an welche der Leser schon kann gestoſsen seyn. Thatsachen des Be- wuſstseyns würden im engsten Sinne nur die innerlich beobachteten seyn. Durch diese Bestimmung des Be- griffs wären nicht bloſs diejenigen Vorstellungen ausge- schlossen, welche wegen ihrer Dunkelheit unbemerkt blei- ben: sondern auch das active Beobachten, sofern es nicht wiederum in einer höhern Reflexion ein Beobach- tetes wird. Aber das active Wissen gehört gewiſs mit zum Bewuſstseyn, wenn es nicht selbst ein Gewuſstes wird. Und die dunkeln Vorstellungen verdunkeln sich so allmählig, daſs das innerlich Beobachtete von dem, was sich der Beobachtung entzieht, nicht kann scharf abge- schnitten werden. Ueberdies wird Niemand bezweifeln, daſs das Beobachtete mit dem Nicht-Beobachteten in ei- nem unzertrennlichen Zusammenhange fortlaufender Ge- müths-Thätigkeit stehe. Daher rechnen wir zu den Thatsachen des Bewuſstseyns alles wirkliche Vorstellen; und folglich zu den Arten, sie zu erfah- ren, auch die Beobachtung der Producte unserer vorstel- lenden Thätigkeit, sollte auch die innere Wahrnehmung unseres Thuns gemangelt haben.
Bekannte Beyspiele zu häufen, wäre unnütz. Aber
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zur Kenntniſs der Thatsachen unseres Bewuſstseyns ge-
langen. Wir sind zum Beyspiel eine Strecke gegangen;
ganz in Gedanken vertieft; aber die Stelle, wo wir uns
jetzo befinden, verräth, wie weit unsre Schritte uns ge-
tragen haben. Oder wir haben Jemanden die Zeitung
vorgelesen, ohne Interesse und Aufmerksamkeit; so wis-
sen wir vielleicht Nichts von mehrern Zeilen, die doch
der Zuhörer gar wohl vernommen hat. Oder, mitten im
Phantasiren an einem Instrumente sind unsre Gedanken
von der Musik abgekommen; und während wir mit ganz
andern Gegenständen uns lebhaft beschäfftigen, stört uns
ein Anwesender mit Bemerkungen über das was wir so
eben gespielt haben. So erfahren wir hintennach, was
alles durch unsern Kopf gegangen ist. — Es ist hier der
Ort, einer Zweydeutigkeit zu gedenken, an welche der
Leser schon kann gestoſsen seyn. Thatsachen des Be-
wuſstseyns würden im engsten Sinne nur die innerlich
beobachteten seyn. Durch diese Bestimmung des Be-
griffs wären nicht bloſs diejenigen Vorstellungen ausge-
schlossen, welche wegen ihrer Dunkelheit unbemerkt blei-
ben: sondern auch das active Beobachten, sofern es
nicht wiederum in einer höhern Reflexion ein Beobach-
tetes wird. Aber das active Wissen gehört gewiſs mit
zum Bewuſstseyn, wenn es nicht selbst ein Gewuſstes
wird. Und die dunkeln Vorstellungen verdunkeln sich so
allmählig, daſs das innerlich Beobachtete von dem, was
sich der Beobachtung entzieht, nicht kann scharf abge-
schnitten werden. Ueberdies wird Niemand bezweifeln,
daſs das Beobachtete mit dem Nicht-Beobachteten in ei-
nem unzertrennlichen Zusammenhange fortlaufender Ge-
müths-Thätigkeit stehe. Daher rechnen wir zu den
Thatsachen des Bewuſstseyns alles wirkliche
Vorstellen; und folglich zu den Arten, sie zu erfah-
ren, auch die Beobachtung der Producte unserer vorstel-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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