desto nothwendiger muss bemerkt werden, dass ganze Massen unserer geistigen Thätigkeit uns nicht eher als solche bekannt werden, als bis die Be- trachtungen über unser inneres Produci- ren, von wo die idealistischen Systeme aus- gehn, uns darauf führen. Ein Reisender erzählt wohl von dem was er gesehn hat; aber indem er seines Sehens erwähnt, und was er dabey empfunden, beschreibt, fällt ihm nicht ein, von denjenigen Thätigkeiten sei- nes Geistes zu sprechen, vermöge deren er das, an sich intensive, Wahrnehmen, in ein räumliches Vorstel- len ausgedehnter Gegenstände verwandelt hat. Und in unsern Psychologien lesen wir zwar von der Form der Anschauung und des Denkens, welche die gegebene Ma- terie der Empfindung in sich aufgenommen habe; allein man unterlässt die eben so wichtige als weitläuftige Er- örterung, durch welche Stufenfolge die sogenannten rei- nen Formen des Anschauens allmählig zum klaren Be- wusstseyn gelangen; wie die Unterscheidung bestimmter Figuren möglich geworden sey; wie das Augenmaass, wie das rhythmische Gefühl sich ausbilde.
Man kann die Frage, was für eine Bewandniss es mit den behaupteten Formen des Anschauens und Den- kens haben möge, hier noch ganz unentschieden lassen: gleichwohl steht der Satz vest, dass in den Anwendun- gen und dem deutlichen Vorstellen dieser Formen eine Menge psychologischer Thatsachen verborgen liegen, die ohne Zweifel in wesentlichem Zusammenhange mit den übrigen Thatsachen des Bewusstseyns stehen, und schon deshalb der Aufmerksamkeit der Psychologie keinesweges entgehen dürfen. Allein, sowohl diese, als überhaupt die ganze Classe derjenigen Thatsachen, welche nicht unmit- telbar wahrgenommen, sondern aus den Producten unse- rer Thätigkeit erst geschlossen werden, entfernen sich eben dadurch von der Eigenschaft der Principien; sie sind vielmehr Probleme, welche die Wissenschaft durch Lehrsätze zu lösen hat, und wobey wir uns
desto nothwendiger muſs bemerkt werden, daſs ganze Massen unserer geistigen Thätigkeit uns nicht eher als solche bekannt werden, als bis die Be- trachtungen über unser inneres Produci- ren, von wo die idealistischen Systeme aus- gehn, uns darauf führen. Ein Reisender erzählt wohl von dem was er gesehn hat; aber indem er seines Sehens erwähnt, und was er dabey empfunden, beschreibt, fällt ihm nicht ein, von denjenigen Thätigkeiten sei- nes Geistes zu sprechen, vermöge deren er das, an sich intensive, Wahrnehmen, in ein räumliches Vorstel- len ausgedehnter Gegenstände verwandelt hat. Und in unsern Psychologien lesen wir zwar von der Form der Anschauung und des Denkens, welche die gegebene Ma- terie der Empfindung in sich aufgenommen habe; allein man unterläſst die eben so wichtige als weitläuftige Er- örterung, durch welche Stufenfolge die sogenannten rei- nen Formen des Anschauens allmählig zum klaren Be- wuſstseyn gelangen; wie die Unterscheidung bestimmter Figuren möglich geworden sey; wie das Augenmaaſs, wie das rhythmische Gefühl sich ausbilde.
Man kann die Frage, was für eine Bewandniſs es mit den behaupteten Formen des Anschauens und Den- kens haben möge, hier noch ganz unentschieden lassen: gleichwohl steht der Satz vest, daſs in den Anwendun- gen und dem deutlichen Vorstellen dieser Formen eine Menge psychologischer Thatsachen verborgen liegen, die ohne Zweifel in wesentlichem Zusammenhange mit den übrigen Thatsachen des Bewuſstseyns stehen, und schon deshalb der Aufmerksamkeit der Psychologie keinesweges entgehen dürfen. Allein, sowohl diese, als überhaupt die ganze Classe derjenigen Thatsachen, welche nicht unmit- telbar wahrgenommen, sondern aus den Producten unse- rer Thätigkeit erst geschlossen werden, entfernen sich eben dadurch von der Eigenschaft der Principien; sie sind vielmehr Probleme, welche die Wissenschaft durch Lehrsätze zu lösen hat, und wobey wir uns
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desto nothwendiger muſs bemerkt werden, daſs ganze
Massen unserer geistigen Thätigkeit uns nicht
eher als solche bekannt werden, als bis die Be-
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ren, von wo die idealistischen Systeme aus-
gehn, uns darauf führen. Ein Reisender erzählt
wohl von dem was er gesehn hat; aber indem er seines
Sehens erwähnt, und was er dabey empfunden, beschreibt,
fällt ihm nicht ein, von denjenigen Thätigkeiten sei-
nes Geistes zu sprechen, vermöge deren er das, an
sich intensive, Wahrnehmen, in ein räumliches Vorstel-
len ausgedehnter Gegenstände verwandelt hat. Und in
unsern Psychologien lesen wir zwar von der Form der
Anschauung und des Denkens, welche die gegebene Ma-
terie der Empfindung in sich aufgenommen habe; allein
man unterläſst die eben so wichtige als weitläuftige Er-
örterung, durch welche Stufenfolge die sogenannten rei-
nen Formen des Anschauens allmählig zum klaren Be-
wuſstseyn gelangen; wie die Unterscheidung bestimmter
Figuren möglich geworden sey; wie das Augenmaaſs, wie
das rhythmische Gefühl sich ausbilde.
Man kann die Frage, was für eine Bewandniſs es
mit den behaupteten Formen des Anschauens und Den-
kens haben möge, hier noch ganz unentschieden lassen:
gleichwohl steht der Satz vest, daſs in den Anwendun-
gen und dem deutlichen Vorstellen dieser Formen eine
Menge psychologischer Thatsachen verborgen liegen, die
ohne Zweifel in wesentlichem Zusammenhange mit den
übrigen Thatsachen des Bewuſstseyns stehen, und schon
deshalb der Aufmerksamkeit der Psychologie keinesweges
entgehen dürfen. Allein, sowohl diese, als überhaupt die
ganze Classe derjenigen Thatsachen, welche nicht unmit-
telbar wahrgenommen, sondern aus den Producten unse-
rer Thätigkeit erst geschlossen werden, entfernen sich
eben dadurch von der Eigenschaft der Principien; sie
sind vielmehr Probleme, welche die Wissenschaft
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/34>, abgerufen am 23.11.2024.
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