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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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bestimmt ist es jedoch nur in so fern, als die zuletzt auf-
gefassten Theile des Vortrags früher schon mannigfaltig
mit andern Vorstellungen in den verschiedenen Abstu-
fungen ihrer Reste verschmolzen waren. Aus dieser Ur-
sache löschen sich die Reproductionen beynahe aus, und
es bleibt nichts als die Form derselben, das Nacheinan-
der, noch merklich. Anders verhält es sich, wenn mit-
ten in einer bekannten Melodie die Pause eintritt.
Hier ist die Reproduction bestimmt; sie ruft den gewohn-
ten Fortgang herbey.

Jedermann weiss, dass mit dem Warten sich ein
sehr unangenehmes Gefühl verbinden kann. Wenn
in dem bekannten Vortrage (eines Liedes, eines Ge-
dichts, eines Schauspiels) eine Stockung eintritt: so er-
gänzt zwar der Hörer sogleich das Nächstfolgende; allein
eben dadurch rückt in ihm die bekannte Reihe weiter
vor; fängt nur der Redner oder Sänger nach seiner Ver-
spätung da wieder an, wo er vorhin stehn blieb, so ver-
schiebt
sich die Reihe der Wahrnehmungen gegen die
der Reproductionen; die Glieder beyder Reihen, welche
gleichmässig ablaufen mussten, treffen falsch auf einan-
der; und dies stört nicht bloss die Vorstellungen einzeln
genommen, sondern auch das an sie geknüpfte, von ihnen
fortwährend ausgehende Streben zum fernern Repro-
duciren.

Aber auch wenn die Reihe der Wahrnehmungen
noch nicht zuvor bekannt war: so ist dennoch ihre Un-
terbrechung widrig. Das Gefühl der leeren Zeit
ist an sich unangenehm
. Warum? Weil es aus
Reproductionen von entgegengesetzter Art entsteht, die
sich, eben indem sie ins Bewusstseyn fortwährend vor-
dringen, gegenseitig Gewalt anthun. Hieher gehört das
peinliche Gefühl der Langenweile; analog dem des
wüsten leeren Raums. Die Pause in der Musik gleicht
einer leeren Stelle in einem alten Gemälde, von welchem
hie und da die Farbe abgeschabt ist; oder auch dem
Loche in einem Kleide.

bestimmt ist es jedoch nur in so fern, als die zuletzt auf-
gefaſsten Theile des Vortrags früher schon mannigfaltig
mit andern Vorstellungen in den verschiedenen Abstu-
fungen ihrer Reste verschmolzen waren. Aus dieser Ur-
sache löschen sich die Reproductionen beynahe aus, und
es bleibt nichts als die Form derselben, das Nacheinan-
der, noch merklich. Anders verhält es sich, wenn mit-
ten in einer bekannten Melodie die Pause eintritt.
Hier ist die Reproduction bestimmt; sie ruft den gewohn-
ten Fortgang herbey.

Jedermann weiſs, daſs mit dem Warten sich ein
sehr unangenehmes Gefühl verbinden kann. Wenn
in dem bekannten Vortrage (eines Liedes, eines Ge-
dichts, eines Schauspiels) eine Stockung eintritt: so er-
gänzt zwar der Hörer sogleich das Nächstfolgende; allein
eben dadurch rückt in ihm die bekannte Reihe weiter
vor; fängt nur der Redner oder Sänger nach seiner Ver-
spätung da wieder an, wo er vorhin stehn blieb, so ver-
schiebt
sich die Reihe der Wahrnehmungen gegen die
der Reproductionen; die Glieder beyder Reihen, welche
gleichmäſsig ablaufen muſsten, treffen falsch auf einan-
der; und dies stört nicht bloſs die Vorstellungen einzeln
genommen, sondern auch das an sie geknüpfte, von ihnen
fortwährend ausgehende Streben zum fernern Repro-
duciren.

Aber auch wenn die Reihe der Wahrnehmungen
noch nicht zuvor bekannt war: so ist dennoch ihre Un-
terbrechung widrig. Das Gefühl der leeren Zeit
ist an sich unangenehm
. Warum? Weil es aus
Reproductionen von entgegengesetzter Art entsteht, die
sich, eben indem sie ins Bewuſstseyn fortwährend vor-
dringen, gegenseitig Gewalt anthun. Hieher gehört das
peinliche Gefühl der Langenweile; analog dem des
wüsten leeren Raums. Die Pause in der Musik gleicht
einer leeren Stelle in einem alten Gemälde, von welchem
hie und da die Farbe abgeschabt ist; oder auch dem
Loche in einem Kleide.

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[156/0191] bestimmt ist es jedoch nur in so fern, als die zuletzt auf- gefaſsten Theile des Vortrags früher schon mannigfaltig mit andern Vorstellungen in den verschiedenen Abstu- fungen ihrer Reste verschmolzen waren. Aus dieser Ur- sache löschen sich die Reproductionen beynahe aus, und es bleibt nichts als die Form derselben, das Nacheinan- der, noch merklich. Anders verhält es sich, wenn mit- ten in einer bekannten Melodie die Pause eintritt. Hier ist die Reproduction bestimmt; sie ruft den gewohn- ten Fortgang herbey. Jedermann weiſs, daſs mit dem Warten sich ein sehr unangenehmes Gefühl verbinden kann. Wenn in dem bekannten Vortrage (eines Liedes, eines Ge- dichts, eines Schauspiels) eine Stockung eintritt: so er- gänzt zwar der Hörer sogleich das Nächstfolgende; allein eben dadurch rückt in ihm die bekannte Reihe weiter vor; fängt nur der Redner oder Sänger nach seiner Ver- spätung da wieder an, wo er vorhin stehn blieb, so ver- schiebt sich die Reihe der Wahrnehmungen gegen die der Reproductionen; die Glieder beyder Reihen, welche gleichmäſsig ablaufen muſsten, treffen falsch auf einan- der; und dies stört nicht bloſs die Vorstellungen einzeln genommen, sondern auch das an sie geknüpfte, von ihnen fortwährend ausgehende Streben zum fernern Repro- duciren. Aber auch wenn die Reihe der Wahrnehmungen noch nicht zuvor bekannt war: so ist dennoch ihre Un- terbrechung widrig. Das Gefühl der leeren Zeit ist an sich unangenehm. Warum? Weil es aus Reproductionen von entgegengesetzter Art entsteht, die sich, eben indem sie ins Bewuſstseyn fortwährend vor- dringen, gegenseitig Gewalt anthun. Hieher gehört das peinliche Gefühl der Langenweile; analog dem des wüsten leeren Raums. Die Pause in der Musik gleicht einer leeren Stelle in einem alten Gemälde, von welchem hie und da die Farbe abgeschabt ist; oder auch dem Loche in einem Kleide.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/191>, abgerufen am 21.11.2024.