Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren Gegensätzen successiv so zusammentreffen, wie die
Ordnung der äussern Natur es mit sich bringt. Daher
Raum, Zeit, Zahlen, Kategorien; die nämlichen für Alle;
selbst wenn die Sinne nicht die nämlichen wären. Darin
treffen Menschheit und Thierheit zusammen, und der
Unterschied liegt bloss in dem Mehr oder Weniger der
Entwickelung; die bey unsern bekannten Thieren auf der
Erde allerdings durch mancherley Nebenumstände gehin-
dert ist, wovon man den Begriff des thierischen Daseyns
im Allgemeinen wohl befreyen könnte, ohne gerade das
eigenthümliche Gebiet der menschlichen Cultur zu be-
rühren.

Das Gegenstück fängt an sich jetzt zu offenbaren.
Zwar nicht alle innere Apperception können wir mit
Grunde den Thieren absprechen. Aber dass wir uns hier
in einer ganz andern Sphäre befinden, das verräth sich
schon durch das minder Bestimmte der Resultate, die
wir erhalten. Die Apperception richtet sich nach den
älteren, den früher erworbenen und seit längerer Zeit ge-
bildeten Vorstellungsmassen in ihrem Verhältniss zu den
späteren, minder starken, minder verschmolzenen, welche
eben darum zu jenen in einem Verhältnisse der Abhän-
gigkeit stehen. Wer kann denn sagen, wie diese ver-
schiedenen Vorstellungsmassen eigentlich beschaffen seyen?
Und wie sie dem gemäss wirken? Das Allgemeinste hie-
von wird im nächsten Capitel dargestellt werden. Aber
die zufälligsten Umstände des äussern Lebens, in Ver-
bindung mit der Organisation, können und müssen dar-
auf einfliessen. Die Erfahrung bestätigt das. Sie zeigt
uns in dem Merken, dem Appercipiren der Menschen
die grössten Verschiedenheiten. Einige Menschen sehen
und hören Alles, was in ihre Umgebung kommt; man
darf sie nur rufen, wenn etwas verloren ist, so finden sie
es; aber sie werden gefürchtet von denen, die etwas zu
verbergen haben. Sehr sichtbar kommt nicht bloss die
Beschaffenheit und Verknüpfung der appercipirenden Vor-
stellungsmassen hiebey in Betracht, sondern auch ganz

ihren Gegensätzen successiv so zusammentreffen, wie die
Ordnung der äuſsern Natur es mit sich bringt. Daher
Raum, Zeit, Zahlen, Kategorien; die nämlichen für Alle;
selbst wenn die Sinne nicht die nämlichen wären. Darin
treffen Menschheit und Thierheit zusammen, und der
Unterschied liegt bloſs in dem Mehr oder Weniger der
Entwickelung; die bey unsern bekannten Thieren auf der
Erde allerdings durch mancherley Nebenumstände gehin-
dert ist, wovon man den Begriff des thierischen Daseyns
im Allgemeinen wohl befreyen könnte, ohne gerade das
eigenthümliche Gebiet der menschlichen Cultur zu be-
rühren.

Das Gegenstück fängt an sich jetzt zu offenbaren.
Zwar nicht alle innere Apperception können wir mit
Grunde den Thieren absprechen. Aber daſs wir uns hier
in einer ganz andern Sphäre befinden, das verräth sich
schon durch das minder Bestimmte der Resultate, die
wir erhalten. Die Apperception richtet sich nach den
älteren, den früher erworbenen und seit längerer Zeit ge-
bildeten Vorstellungsmassen in ihrem Verhältniſs zu den
späteren, minder starken, minder verschmolzenen, welche
eben darum zu jenen in einem Verhältnisse der Abhän-
gigkeit stehen. Wer kann denn sagen, wie diese ver-
schiedenen Vorstellungsmassen eigentlich beschaffen seyen?
Und wie sie dem gemäſs wirken? Das Allgemeinste hie-
von wird im nächsten Capitel dargestellt werden. Aber
die zufälligsten Umstände des äuſsern Lebens, in Ver-
bindung mit der Organisation, können und müssen dar-
auf einflieſsen. Die Erfahrung bestätigt das. Sie zeigt
uns in dem Merken, dem Appercipiren der Menschen
die gröſsten Verschiedenheiten. Einige Menschen sehen
und hören Alles, was in ihre Umgebung kommt; man
darf sie nur rufen, wenn etwas verloren ist, so finden sie
es; aber sie werden gefürchtet von denen, die etwas zu
verbergen haben. Sehr sichtbar kommt nicht bloſs die
Beschaffenheit und Verknüpfung der appercipirenden Vor-
stellungsmassen hiebey in Betracht, sondern auch ganz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0263" n="228"/>
ihren Gegensätzen successiv so zusammentreffen, wie die<lb/>
Ordnung der äu&#x017F;sern Natur es mit sich bringt. Daher<lb/>
Raum, Zeit, Zahlen, Kategorien; die nämlichen für Alle;<lb/>
selbst wenn die Sinne nicht die nämlichen wären. Darin<lb/>
treffen Menschheit und Thierheit zusammen, und der<lb/>
Unterschied liegt blo&#x017F;s in dem Mehr oder Weniger der<lb/>
Entwickelung; die bey unsern bekannten Thieren auf der<lb/>
Erde allerdings durch mancherley Nebenumstände gehin-<lb/>
dert ist, wovon man den Begriff des thierischen Daseyns<lb/>
im Allgemeinen wohl befreyen könnte, ohne gerade das<lb/>
eigenthümliche Gebiet der menschlichen Cultur zu be-<lb/>
rühren.</p><lb/>
              <p>Das Gegenstück fängt an sich jetzt zu offenbaren.<lb/>
Zwar nicht alle innere Apperception können wir mit<lb/>
Grunde den Thieren absprechen. Aber da&#x017F;s wir uns hier<lb/>
in einer ganz andern Sphäre befinden, das verräth sich<lb/>
schon durch das minder Bestimmte der Resultate, die<lb/>
wir erhalten. Die Apperception richtet sich nach den<lb/>
älteren, den früher erworbenen und seit längerer Zeit ge-<lb/>
bildeten Vorstellungsmassen in ihrem Verhältni&#x017F;s zu den<lb/>
späteren, minder starken, minder verschmolzenen, welche<lb/>
eben darum zu jenen in einem Verhältnisse der Abhän-<lb/>
gigkeit stehen. Wer kann denn sagen, wie diese ver-<lb/>
schiedenen Vorstellungsmassen eigentlich beschaffen seyen?<lb/>
Und wie sie dem gemä&#x017F;s wirken? Das Allgemeinste hie-<lb/>
von wird im nächsten Capitel dargestellt werden. Aber<lb/>
die zufälligsten Umstände des äu&#x017F;sern Lebens, in Ver-<lb/>
bindung mit der Organisation, können und müssen dar-<lb/>
auf einflie&#x017F;sen. Die Erfahrung bestätigt das. Sie zeigt<lb/>
uns in dem Merken, dem Appercipiren der Menschen<lb/>
die grö&#x017F;sten Verschiedenheiten. Einige Menschen sehen<lb/>
und hören Alles, was in ihre Umgebung kommt; man<lb/>
darf sie nur rufen, wenn etwas verloren ist, so finden sie<lb/>
es; aber sie werden gefürchtet von denen, die etwas zu<lb/>
verbergen haben. Sehr sichtbar kommt nicht blo&#x017F;s die<lb/>
Beschaffenheit und <choice><sic>Verknüpfnng</sic><corr>Verknüpfung</corr></choice> der appercipirenden Vor-<lb/>
stellungsmassen hiebey in Betracht, sondern auch ganz<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0263] ihren Gegensätzen successiv so zusammentreffen, wie die Ordnung der äuſsern Natur es mit sich bringt. Daher Raum, Zeit, Zahlen, Kategorien; die nämlichen für Alle; selbst wenn die Sinne nicht die nämlichen wären. Darin treffen Menschheit und Thierheit zusammen, und der Unterschied liegt bloſs in dem Mehr oder Weniger der Entwickelung; die bey unsern bekannten Thieren auf der Erde allerdings durch mancherley Nebenumstände gehin- dert ist, wovon man den Begriff des thierischen Daseyns im Allgemeinen wohl befreyen könnte, ohne gerade das eigenthümliche Gebiet der menschlichen Cultur zu be- rühren. Das Gegenstück fängt an sich jetzt zu offenbaren. Zwar nicht alle innere Apperception können wir mit Grunde den Thieren absprechen. Aber daſs wir uns hier in einer ganz andern Sphäre befinden, das verräth sich schon durch das minder Bestimmte der Resultate, die wir erhalten. Die Apperception richtet sich nach den älteren, den früher erworbenen und seit längerer Zeit ge- bildeten Vorstellungsmassen in ihrem Verhältniſs zu den späteren, minder starken, minder verschmolzenen, welche eben darum zu jenen in einem Verhältnisse der Abhän- gigkeit stehen. Wer kann denn sagen, wie diese ver- schiedenen Vorstellungsmassen eigentlich beschaffen seyen? Und wie sie dem gemäſs wirken? Das Allgemeinste hie- von wird im nächsten Capitel dargestellt werden. Aber die zufälligsten Umstände des äuſsern Lebens, in Ver- bindung mit der Organisation, können und müssen dar- auf einflieſsen. Die Erfahrung bestätigt das. Sie zeigt uns in dem Merken, dem Appercipiren der Menschen die gröſsten Verschiedenheiten. Einige Menschen sehen und hören Alles, was in ihre Umgebung kommt; man darf sie nur rufen, wenn etwas verloren ist, so finden sie es; aber sie werden gefürchtet von denen, die etwas zu verbergen haben. Sehr sichtbar kommt nicht bloſs die Beschaffenheit und Verknüpfung der appercipirenden Vor- stellungsmassen hiebey in Betracht, sondern auch ganz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/263
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/263>, abgerufen am 22.11.2024.