am kräftigsten zeigen, um dem in Traum oder Träumerey Versunkenen das nüchterne und klare Selbstbewusstseyn zurückzurufen. Wie können sie das, da sie doch gar nicht Theile unserer Vorstellung von Uns selbst ausma- chen? Sie führen ihr uraltes Vorausgesetztes, wie es sich durchs ganze verflossene Leben gebildet hat, dun- kel und stark zugleich mit sich herbey; nun liegt der Bo- den vest, nun ist die Unterlage (das Subject) vorhan- den, auf welche die eben jetzt gegenwärtigen Gedanken und Gefühle sich übertragen, um den jetzigen Zustand des Subjects näher zu bestimmen. So bekommt dieses Subject zugleich ein Prädicat und ein Object; und ist demnach Subject in doppeltem Sinne.
Nachdem wir Object und Subject haben, wollen wir das Ich suchen.
Zweytes Capitel. Vom Selbstbewusstseyn.
§. 132.
Das Ich soll die erste Person seyn, der jede zweyte, vollends jede Sache, gegenüber steht. Gleichwohl wissen wir aus den Untersuchungen des ersten Theils, dass die Vorstellung des Ich, wenn man sie losreisst aus ihren Reihen, gar kein Object hat. Daher liegt jetzt ganz sichtbar folgendes vor Augen: Das Ich ist ein Punct, der nur in so fern vorgestellt wird und werden kann, als unzählige Reihen auf ihn, als ihr ge- meinsames Vorausgesetztes, zurückweisen. Kein Wunder, dass es ein dunkler Punct ist! Ein natürli- ches Geheimniss, wie ein Schriftsteller es nennt, der es als ein Vorstellendes noch obendrein viel zu früh meinte begriffen zu haben *). Man mag es auch eine dunkle
*)Reinhold in der Theorie des Vorstellungsvermögens. S. 338. Dies Buch verdient hier verglichen zu werden; es kann zwar nicht zur Erklärung, aber zur analytischen Deutlichkeit der Sache beytragen.
II. R
am kräftigsten zeigen, um dem in Traum oder Träumerey Versunkenen das nüchterne und klare Selbstbewuſstseyn zurückzurufen. Wie können sie das, da sie doch gar nicht Theile unserer Vorstellung von Uns selbst ausma- chen? Sie führen ihr uraltes Vorausgesetztes, wie es sich durchs ganze verflossene Leben gebildet hat, dun- kel und stark zugleich mit sich herbey; nun liegt der Bo- den vest, nun ist die Unterlage (das Subject) vorhan- den, auf welche die eben jetzt gegenwärtigen Gedanken und Gefühle sich übertragen, um den jetzigen Zustand des Subjects näher zu bestimmen. So bekommt dieses Subject zugleich ein Prädicat und ein Object; und ist demnach Subject in doppeltem Sinne.
Nachdem wir Object und Subject haben, wollen wir das Ich suchen.
Zweytes Capitel. Vom Selbstbewuſstseyn.
§. 132.
Das Ich soll die erste Person seyn, der jede zweyte, vollends jede Sache, gegenüber steht. Gleichwohl wissen wir aus den Untersuchungen des ersten Theils, daſs die Vorstellung des Ich, wenn man sie losreiſst aus ihren Reihen, gar kein Object hat. Daher liegt jetzt ganz sichtbar folgendes vor Augen: Das Ich ist ein Punct, der nur in so fern vorgestellt wird und werden kann, als unzählige Reihen auf ihn, als ihr ge- meinsames Vorausgesetztes, zurückweisen. Kein Wunder, daſs es ein dunkler Punct ist! Ein natürli- ches Geheimniſs, wie ein Schriftsteller es nennt, der es als ein Vorstellendes noch obendrein viel zu früh meinte begriffen zu haben *). Man mag es auch eine dunkle
*)Reinhold in der Theorie des Vorstellungsvermögens. S. 338. Dies Buch verdient hier verglichen zu werden; es kann zwar nicht zur Erklärung, aber zur analytischen Deutlichkeit der Sache beytragen.
II. R
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0292"n="257"/>
am kräftigsten zeigen, um dem in Traum oder Träumerey<lb/>
Versunkenen das nüchterne und klare Selbstbewuſstseyn<lb/>
zurückzurufen. Wie können sie das, da sie doch gar<lb/>
nicht Theile unserer Vorstellung von Uns selbst ausma-<lb/>
chen? Sie führen ihr uraltes Vorausgesetztes, wie es<lb/>
sich durchs ganze verflossene Leben gebildet hat, dun-<lb/>
kel und stark zugleich mit sich herbey; nun liegt der Bo-<lb/>
den vest, nun ist <hirendition="#g">die Unterlage</hi> (das Subject) vorhan-<lb/>
den, auf welche die eben jetzt gegenwärtigen Gedanken<lb/>
und Gefühle sich übertragen, um den <hirendition="#g">jetzigen</hi> Zustand<lb/>
des Subjects näher zu bestimmen. So bekommt dieses<lb/>
Subject zugleich ein Prädicat und ein Object; und ist<lb/>
demnach Subject in doppeltem Sinne.</p><lb/><p>Nachdem wir Object und Subject haben, wollen wir<lb/>
das <hirendition="#g">Ich</hi> suchen.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head><hirendition="#g"><hirendition="#i">Zweytes Capitel</hi>.<lb/>
Vom Selbstbewuſstseyn</hi>.</head><lb/><divn="4"><head>§. 132.</head><lb/><p>Das Ich soll die <hirendition="#g">erste</hi> Person seyn, der jede zweyte,<lb/>
vollends jede Sache, gegenüber steht. Gleichwohl wissen<lb/>
wir aus den Untersuchungen des ersten Theils, daſs die<lb/>
Vorstellung des Ich, wenn man sie losreiſst aus ihren<lb/>
Reihen, gar kein Object hat. Daher liegt jetzt ganz<lb/>
sichtbar folgendes vor Augen: <hirendition="#g">Das Ich ist ein Punct,<lb/>
der nur in so fern vorgestellt wird und werden<lb/>
kann, als unzählige Reihen auf ihn, als ihr ge-<lb/>
meinsames Vorausgesetztes, zurückweisen</hi>. Kein<lb/>
Wunder, daſs es ein <hirendition="#g">dunkler</hi> Punct ist! Ein natürli-<lb/>
ches Geheimniſs, wie ein Schriftsteller es nennt, der es<lb/>
als ein Vorstellendes noch obendrein viel zu früh meinte<lb/>
begriffen zu haben <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#g">Reinhold</hi> in der Theorie des Vorstellungsvermögens. S. 338.<lb/>
Dies Buch verdient hier verglichen zu werden; es kann zwar nicht<lb/>
zur Erklärung, aber zur analytischen Deutlichkeit der Sache beytragen.</note>. Man mag es auch eine dunkle<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">II.</hi> R</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[257/0292]
am kräftigsten zeigen, um dem in Traum oder Träumerey
Versunkenen das nüchterne und klare Selbstbewuſstseyn
zurückzurufen. Wie können sie das, da sie doch gar
nicht Theile unserer Vorstellung von Uns selbst ausma-
chen? Sie führen ihr uraltes Vorausgesetztes, wie es
sich durchs ganze verflossene Leben gebildet hat, dun-
kel und stark zugleich mit sich herbey; nun liegt der Bo-
den vest, nun ist die Unterlage (das Subject) vorhan-
den, auf welche die eben jetzt gegenwärtigen Gedanken
und Gefühle sich übertragen, um den jetzigen Zustand
des Subjects näher zu bestimmen. So bekommt dieses
Subject zugleich ein Prädicat und ein Object; und ist
demnach Subject in doppeltem Sinne.
Nachdem wir Object und Subject haben, wollen wir
das Ich suchen.
Zweytes Capitel.
Vom Selbstbewuſstseyn.
§. 132.
Das Ich soll die erste Person seyn, der jede zweyte,
vollends jede Sache, gegenüber steht. Gleichwohl wissen
wir aus den Untersuchungen des ersten Theils, daſs die
Vorstellung des Ich, wenn man sie losreiſst aus ihren
Reihen, gar kein Object hat. Daher liegt jetzt ganz
sichtbar folgendes vor Augen: Das Ich ist ein Punct,
der nur in so fern vorgestellt wird und werden
kann, als unzählige Reihen auf ihn, als ihr ge-
meinsames Vorausgesetztes, zurückweisen. Kein
Wunder, daſs es ein dunkler Punct ist! Ein natürli-
ches Geheimniſs, wie ein Schriftsteller es nennt, der es
als ein Vorstellendes noch obendrein viel zu früh meinte
begriffen zu haben *). Man mag es auch eine dunkle
*) Reinhold in der Theorie des Vorstellungsvermögens. S. 338.
Dies Buch verdient hier verglichen zu werden; es kann zwar nicht
zur Erklärung, aber zur analytischen Deutlichkeit der Sache beytragen.
II. R
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/292>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.