Das bisher Angeführte zeigt ein Schwanken zwischen Staatsrecht und Staatsklugheit; es ist billig und nützlich, ein paar andre Züge bemerklich zu machen, woraus die richtige Beurtheilung des wirklichen Staats hervorgeht.
Nachdem Herr von Haller den Misbrauch der Macht darein gesetzt hat, dass sie Bedürfnisse schaffe, statt sie zu befriedigen: fährt er fort: "Allein den "möglichen Misbrauch der höchsten Gewalt, d. h. derje- "nigen, die keine höhere über sich hat, durch mensch- "liche Einrichtungen hindern zu wollen, ist ein Pro- "blem, welches sich selbst widerspricht." Genau dieses Nämliche habe ich gleichzeitig mit Herrn von Hal- ler, und unabhängig von ihm, gelehrt, und noch etwas weiter ausgeführt *). Ueber das bekanntlich vorgeschla- gene Mittel, die Theilung der Macht, urtheilt Herr von Haller folgendes: "Es ist unbegreiflich, wie die von "Montesquieu erdichtete Idee von einer Theilung der "Gewalten in gesetzgebende und vollziehende (und "richterliche) so sehr in alle Köpfe hat eindringen "können. Allein bey der Unwissenheit von den Dingen "selbst, sucht man sich mit dergleichen, bloss logi- "schen, Distinctionen, herauszuhelfen, die ohne Reali- "tät einen leeren Schein von Wissenschaft an sich tra- "gen." Vollkommen wahr! Die Politik befindet sich mit dieser Theilung der Gewalt genau in demselben Falle, wie die Psychologie mit ihren Seelenvermögen; sie kann die drey Gewalten nicht als eine vollständige Thei- lung deduciren; sie kann die Grenzen zwischen ihnen nicht vestsetzen; sie kann das Causalverhältniss unter denselben weder seiner Möglichkeit nach begreiflich ma- chen, noch angeben wie es seyn sollte; sie kann daher das Getrennte nicht wieder vereinigen. Sie hat bloss zerrissen, und keinesweges getheilt. Denn es ist son- nenklar, dass eine bloss gesetzgebende Macht, wenn sie
*) In meiner praktischen Philosophie, S. 348.; wo aber der ganze Zusammenhang muss nachgesehen werden.
Das bisher Angeführte zeigt ein Schwanken zwischen Staatsrecht und Staatsklugheit; es ist billig und nützlich, ein paar andre Züge bemerklich zu machen, woraus die richtige Beurtheilung des wirklichen Staats hervorgeht.
Nachdem Herr von Haller den Misbrauch der Macht darein gesetzt hat, daſs sie Bedürfnisse schaffe, statt sie zu befriedigen: fährt er fort: „Allein den „möglichen Misbrauch der höchsten Gewalt, d. h. derje- „nigen, die keine höhere über sich hat, durch mensch- „liche Einrichtungen hindern zu wollen, ist ein Pro- „blem, welches sich selbst widerspricht.“ Genau dieses Nämliche habe ich gleichzeitig mit Herrn von Hal- ler, und unabhängig von ihm, gelehrt, und noch etwas weiter ausgeführt *). Ueber das bekanntlich vorgeschla- gene Mittel, die Theilung der Macht, urtheilt Herr von Haller folgendes: „Es ist unbegreiflich, wie die von „Montesquieu erdichtete Idee von einer Theilung der „Gewalten in gesetzgebende und vollziehende (und „richterliche) so sehr in alle Köpfe hat eindringen „können. Allein bey der Unwissenheit von den Dingen „selbst, sucht man sich mit dergleichen, bloſs logi- „schen, Distinctionen, herauszuhelfen, die ohne Reali- „tät einen leeren Schein von Wissenschaft an sich tra- „gen.“ Vollkommen wahr! Die Politik befindet sich mit dieser Theilung der Gewalt genau in demselben Falle, wie die Psychologie mit ihren Seelenvermögen; sie kann die drey Gewalten nicht als eine vollständige Thei- lung deduciren; sie kann die Grenzen zwischen ihnen nicht vestsetzen; sie kann das Causalverhältniſs unter denselben weder seiner Möglichkeit nach begreiflich ma- chen, noch angeben wie es seyn sollte; sie kann daher das Getrennte nicht wieder vereinigen. Sie hat bloſs zerrissen, und keinesweges getheilt. Denn es ist son- nenklar, daſs eine bloſs gesetzgebende Macht, wenn sie
*) In meiner praktischen Philosophie, S. 348.; wo aber der ganze Zusammenhang muſs nachgesehen werden.
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Das bisher Angeführte zeigt ein Schwanken zwischen
Staatsrecht und Staatsklugheit; es ist billig und nützlich,
ein paar andre Züge bemerklich zu machen, woraus die
richtige Beurtheilung des wirklichen Staats hervorgeht.
Nachdem Herr von Haller den Misbrauch der
Macht darein gesetzt hat, daſs sie Bedürfnisse schaffe,
statt sie zu befriedigen: fährt er fort: „Allein den
„möglichen Misbrauch der höchsten Gewalt, d. h. derje-
„nigen, die keine höhere über sich hat, durch mensch-
„liche Einrichtungen hindern zu wollen, ist ein Pro-
„blem, welches sich selbst widerspricht.“ Genau
dieses Nämliche habe ich gleichzeitig mit Herrn von Hal-
ler, und unabhängig von ihm, gelehrt, und noch etwas
weiter ausgeführt *). Ueber das bekanntlich vorgeschla-
gene Mittel, die Theilung der Macht, urtheilt Herr von
Haller folgendes: „Es ist unbegreiflich, wie die von
„Montesquieu erdichtete Idee von einer Theilung der
„Gewalten in gesetzgebende und vollziehende (und
„richterliche) so sehr in alle Köpfe hat eindringen
„können. Allein bey der Unwissenheit von den Dingen
„selbst, sucht man sich mit dergleichen, bloſs logi-
„schen, Distinctionen, herauszuhelfen, die ohne Reali-
„tät einen leeren Schein von Wissenschaft an sich tra-
„gen.“ Vollkommen wahr! Die Politik befindet sich
mit dieser Theilung der Gewalt genau in demselben Falle,
wie die Psychologie mit ihren Seelenvermögen; sie kann
die drey Gewalten nicht als eine vollständige Thei-
lung deduciren; sie kann die Grenzen zwischen ihnen
nicht vestsetzen; sie kann das Causalverhältniſs unter
denselben weder seiner Möglichkeit nach begreiflich ma-
chen, noch angeben wie es seyn sollte; sie kann daher
das Getrennte nicht wieder vereinigen. Sie hat bloſs
zerrissen, und keinesweges getheilt. Denn es ist son-
nenklar, daſs eine bloſs gesetzgebende Macht, wenn sie
*) In meiner praktischen Philosophie, S. 348.; wo aber der
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/45>, abgerufen am 17.09.2024.
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