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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Abstraction bey Seite gesetzt, in der Determination hinzu-
gefügt worden. Jndem diese logischen Operationen von den
niedrigsten bis zu den höchsten Begriffen, und rückwärts,
gehörig vollzogen werden, verleiten sie Niemanden, die höch-
sten Begriffe für real zu halten; vielmehr weiß Jedermann,
daß dieselben nur Hülfsmittel des Denkens sind, welches
sie selbst erzeugte, um eine sehr große Mannigfaltigkeit von
Naturkörpern bequem überschauen zu können.

Hingegen der Psychologie liegt kein Stoff zum Grunde,
der sich klar vor Augen legen, bestimmt nachweisen, einer
regelmäßig und ohne Sprung von unten aufsteigenden Ab-
straction unterwerfen ließe. Die Selbstbeobachtung verstüm-
melt die Thatsachen des Bewußtseyns schon in der Auffas-
sung, reißt sie aus ihren nothwendigen Verbindungen und
überliefert sie einer tumultuarischen Abstraction, welche nicht
eher einen Ruhepunkt findet, als bis sie bey den höchsten
Gattungsbegriffen, dem Vorstellen, Fühlen, und Be-
gehren,
angelangt ist; denen nun durch Determination
(also auf dem, für eine empirische Wissenschaft verkehrten
Wege) das beobachtete Mannigfaltige so gut es gehen will,
untergeordnet wird. Wenn nun zu den unwissenschaftlich
entstandenen Begriffen von dem, was in uns geschieht,
die Voraussetzung von Vermögen, die wir haben, hin-
zugefügt wird, so verwandelt sich die Psychologie in eine
Mythologie; von der zwar Niemand bekennen will, daß
er im Ernste daran glaube, von der man aber gleichwohl
die wichtigsten Untersuchungen dergestalt abhängig macht,
daß nichts Klares davon übrig bleibt, wenn jene Grundlage
weggenommen wird.

Anmerkung. Es ist auffallend, daß in der Psycho-
logiedie höchsten Begriffe noch die klärsten sind, die niedri-
gern aber immer schwankender werden. So ist man, zwar
seit nicht langer Zeit, darüber so ziemlich (wiewohl auch


Abstraction bey Seite gesetzt, in der Determination hinzu-
gefügt worden. Jndem diese logischen Operationen von den
niedrigsten bis zu den höchsten Begriffen, und rückwärts,
gehörig vollzogen werden, verleiten sie Niemanden, die höch-
sten Begriffe für real zu halten; vielmehr weiß Jedermann,
daß dieselben nur Hülfsmittel des Denkens sind, welches
sie selbst erzeugte, um eine sehr große Mannigfaltigkeit von
Naturkörpern bequem überschauen zu können.

Hingegen der Psychologie liegt kein Stoff zum Grunde,
der sich klar vor Augen legen, bestimmt nachweisen, einer
regelmäßig und ohne Sprung von unten aufsteigenden Ab-
straction unterwerfen ließe. Die Selbstbeobachtung verstüm-
melt die Thatsachen des Bewußtseyns schon in der Auffas-
sung, reißt sie aus ihren nothwendigen Verbindungen und
überliefert sie einer tumultuarischen Abstraction, welche nicht
eher einen Ruhepunkt findet, als bis sie bey den höchsten
Gattungsbegriffen, dem Vorstellen, Fühlen, und Be-
gehren,
angelangt ist; denen nun durch Determination
(also auf dem, für eine empirische Wissenschaft verkehrten
Wege) das beobachtete Mannigfaltige so gut es gehen will,
untergeordnet wird. Wenn nun zu den unwissenschaftlich
entstandenen Begriffen von dem, was in uns geschieht,
die Voraussetzung von Vermögen, die wir haben, hin-
zugefügt wird, so verwandelt sich die Psychologie in eine
Mythologie; von der zwar Niemand bekennen will, daß
er im Ernste daran glaube, von der man aber gleichwohl
die wichtigsten Untersuchungen dergestalt abhängig macht,
daß nichts Klares davon übrig bleibt, wenn jene Grundlage
weggenommen wird.

Anmerkung. Es ist auffallend, daß in der Psycho-
logiedie höchsten Begriffe noch die klärsten sind, die niedri-
gern aber immer schwankender werden. So ist man, zwar
seit nicht langer Zeit, darüber so ziemlich (wiewohl auch


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[3/0011] Abstraction bey Seite gesetzt, in der Determination hinzu- gefügt worden. Jndem diese logischen Operationen von den niedrigsten bis zu den höchsten Begriffen, und rückwärts, gehörig vollzogen werden, verleiten sie Niemanden, die höch- sten Begriffe für real zu halten; vielmehr weiß Jedermann, daß dieselben nur Hülfsmittel des Denkens sind, welches sie selbst erzeugte, um eine sehr große Mannigfaltigkeit von Naturkörpern bequem überschauen zu können. Hingegen der Psychologie liegt kein Stoff zum Grunde, der sich klar vor Augen legen, bestimmt nachweisen, einer regelmäßig und ohne Sprung von unten aufsteigenden Ab- straction unterwerfen ließe. Die Selbstbeobachtung verstüm- melt die Thatsachen des Bewußtseyns schon in der Auffas- sung, reißt sie aus ihren nothwendigen Verbindungen und überliefert sie einer tumultuarischen Abstraction, welche nicht eher einen Ruhepunkt findet, als bis sie bey den höchsten Gattungsbegriffen, dem Vorstellen, Fühlen, und Be- gehren, angelangt ist; denen nun durch Determination (also auf dem, für eine empirische Wissenschaft verkehrten Wege) das beobachtete Mannigfaltige so gut es gehen will, untergeordnet wird. Wenn nun zu den unwissenschaftlich entstandenen Begriffen von dem, was in uns geschieht, die Voraussetzung von Vermögen, die wir haben, hin- zugefügt wird, so verwandelt sich die Psychologie in eine Mythologie; von der zwar Niemand bekennen will, daß er im Ernste daran glaube, von der man aber gleichwohl die wichtigsten Untersuchungen dergestalt abhängig macht, daß nichts Klares davon übrig bleibt, wenn jene Grundlage weggenommen wird. Anmerkung. Es ist auffallend, daß in der Psycho- logiedie höchsten Begriffe noch die klärsten sind, die niedri- gern aber immer schwankender werden. So ist man, zwar seit nicht langer Zeit, darüber so ziemlich (wiewohl auch

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/11>, abgerufen am 03.05.2024.