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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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prägt, welche Collisionen zwischen eigenen und fremden
Jnteressen Statt finden.

Das Erschleichen realer Kräfte, oder wenigstens beson-
derer Anlagen und natürlicher Keime, ist in der Lehre vom
Begehrungsvermögen vorzüglich häufig, weit der Mensch
sich thätig zeigt in seinem Begehren, und man überall
geneigt ist, soviel Kräfte als Klassen von wirklichen oder
scheinbaren Tätigkeiten anzunehmen.

112. Die Neigungen, oder diejenigen dauernden
Gemüthslagen, welche der Entstehung gewisser Arten von
Begierden günstig sind, -- zeigen sich mehr als die soge-
nannten Triebe verschieden bey den Jndividuen. Sie sind
großentheils Folgen der Gewohnheit, die aus dem Vor-
stellungsvermögen hieher ins Begehrungsvermögen herüber-
zureichen scheint. Denn es sind zuerst die Gedanken, wel-
che, der gewohnten Richtung folgen, und welche, wenn kein
Hinderniß eintritt, vor allem merklichen Fühlen und
Begehren sogleich in Handlung übergehn
; stellt
sich aber etwas in den Weg, alsdann schwillt die Begierde
an, begleitet von einem Gefühl der Mühe und der an-
gestrengten Thätigkeit
.

113. Das auffallendste, und nächst dem Wahnsinn
das traurigste Schauspiel in der Psychologie geben die Lei-
denschaften
. (Kant hat sie in der Anthropologie vortreff-
lich gezeichnet.) Sie sind nicht Neigungen (Gemüthslagen),
sondern selbst Begierden, und jede Begierde ohne Ausnahme,
die edelste wie die schlechteste, kann Leidenschaft werden.
Sie wird es, indem sie zu einer Herrschaft gelangt, wo-
durch die praktische Ueberlegung aus ihrer Richtung kommt.
Das Vernünfteln ist das eigentliche Kennzeichen der
Leidenschaften.

Daher kann man dieselben eigentlich nur im Gegensatze
mit der praktischen Vernunft definiren und beschreiben. Eine

prägt, welche Collisionen zwischen eigenen und fremden
Jnteressen Statt finden.

Das Erschleichen realer Kräfte, oder wenigstens beson-
derer Anlagen und natürlicher Keime, ist in der Lehre vom
Begehrungsvermögen vorzüglich häufig, weit der Mensch
sich thätig zeigt in seinem Begehren, und man überall
geneigt ist, soviel Kräfte als Klassen von wirklichen oder
scheinbaren Tätigkeiten anzunehmen.

112. Die Neigungen, oder diejenigen dauernden
Gemüthslagen, welche der Entstehung gewisser Arten von
Begierden günstig sind, — zeigen sich mehr als die soge-
nannten Triebe verschieden bey den Jndividuen. Sie sind
großentheils Folgen der Gewohnheit, die aus dem Vor-
stellungsvermögen hieher ins Begehrungsvermögen herüber-
zureichen scheint. Denn es sind zuerst die Gedanken, wel-
che, der gewohnten Richtung folgen, und welche, wenn kein
Hinderniß eintritt, vor allem merklichen Fühlen und
Begehren sogleich in Handlung übergehn
; stellt
sich aber etwas in den Weg, alsdann schwillt die Begierde
an, begleitet von einem Gefühl der Mühe und der an-
gestrengten Thätigkeit
.

113. Das auffallendste, und nächst dem Wahnsinn
das traurigste Schauspiel in der Psychologie geben die Lei-
denschaften
. (Kant hat sie in der Anthropologie vortreff-
lich gezeichnet.) Sie sind nicht Neigungen (Gemüthslagen),
sondern selbst Begierden, und jede Begierde ohne Ausnahme,
die edelste wie die schlechteste, kann Leidenschaft werden.
Sie wird es, indem sie zu einer Herrschaft gelangt, wo-
durch die praktische Ueberlegung aus ihrer Richtung kommt.
Das Vernünfteln ist das eigentliche Kennzeichen der
Leidenschaften.

Daher kann man dieselben eigentlich nur im Gegensatze
mit der praktischen Vernunft definiren und beschreiben. Eine

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[88/0096] prägt, welche Collisionen zwischen eigenen und fremden Jnteressen Statt finden. Das Erschleichen realer Kräfte, oder wenigstens beson- derer Anlagen und natürlicher Keime, ist in der Lehre vom Begehrungsvermögen vorzüglich häufig, weit der Mensch sich thätig zeigt in seinem Begehren, und man überall geneigt ist, soviel Kräfte als Klassen von wirklichen oder scheinbaren Tätigkeiten anzunehmen. 112. Die Neigungen, oder diejenigen dauernden Gemüthslagen, welche der Entstehung gewisser Arten von Begierden günstig sind, — zeigen sich mehr als die soge- nannten Triebe verschieden bey den Jndividuen. Sie sind großentheils Folgen der Gewohnheit, die aus dem Vor- stellungsvermögen hieher ins Begehrungsvermögen herüber- zureichen scheint. Denn es sind zuerst die Gedanken, wel- che, der gewohnten Richtung folgen, und welche, wenn kein Hinderniß eintritt, vor allem merklichen Fühlen und Begehren sogleich in Handlung übergehn; stellt sich aber etwas in den Weg, alsdann schwillt die Begierde an, begleitet von einem Gefühl der Mühe und der an- gestrengten Thätigkeit. 113. Das auffallendste, und nächst dem Wahnsinn das traurigste Schauspiel in der Psychologie geben die Lei- denschaften. (Kant hat sie in der Anthropologie vortreff- lich gezeichnet.) Sie sind nicht Neigungen (Gemüthslagen), sondern selbst Begierden, und jede Begierde ohne Ausnahme, die edelste wie die schlechteste, kann Leidenschaft werden. Sie wird es, indem sie zu einer Herrschaft gelangt, wo- durch die praktische Ueberlegung aus ihrer Richtung kommt. Das Vernünfteln ist das eigentliche Kennzeichen der Leidenschaften. Daher kann man dieselben eigentlich nur im Gegensatze mit der praktischen Vernunft definiren und beschreiben. Eine

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/96>, abgerufen am 22.11.2024.