Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.vollständige Eintheilung der Leidenschaften ist ganz
unmög- B. Vom obern Begehrungsvermögen. 114. Dem Urtheilen und dem Handeln
geht Ue- 115. Die Vernunft ist deshalb unsprünglich nicht ge- vollständige Eintheilung der Leidenschaften ist ganz
unmög- B. Vom obern Begehrungsvermögen. 114. Dem Urtheilen und dem Handeln
geht Ue- 115. Die Vernunft ist deshalb unsprünglich nicht ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0097" n="89"/> vollständige Eintheilung der Leidenschaften ist ganz unmög-<lb/> lich, eben darum weil <hi rendition="#g">jede</hi> Begierde, durch Umstände und<lb/> Gewöhnung verstärkt, der Ueberlegung einen verkehrten Lauf<lb/> zu geben vermag. Jede Eintheilung der Leidenschaften ist<lb/> zugleich eine Eintheilung der Begierden überhaupt. Jn<lb/> der Geschichte spielen die Leidenschaften eine große Rolle.<lb/> Man hüte sich, diese Rolle dem Weltgeiste aufzutragen;<lb/> er würde dadurch dem Mephistopheles zu ähnlich werden,<lb/> und endlich gleich diesem aus der Rolle fallen.</p><lb/> <p> <hi rendition="#g">B. Vom obern Begehrungsvermögen.</hi> </p><lb/> <p>114. Dem <hi rendition="#g">Urtheilen</hi> und dem <hi rendition="#g">Handeln</hi> geht <hi rendition="#g">Ue-<lb/> berlegung</hi> voran, wenn der Mensch, ehe er ein Prädi-<lb/> cat an ein Subject knüpft, — und ehe er die jetzige Lage<lb/> der Dinge abändert, zuvor noch andre mögliche Denk-<lb/> und Handlungsweisen vergleicht. Jn der Ueberlegung liegt Ver-<lb/> weilung und Aufschub; ferner Sammlung und Erwägung.<lb/> Sie soll dem Widerruf und der Reue vorbeugen. Sie lei-<lb/> stet dies, in wiefern sie jeder unter den möglichen Vorstellungs-<lb/> arten, jedem Begehren, das mit einem andern in Collision<lb/> kommen könnte, gestattet, ganz ins Bewußtseyn hervorzu-<lb/> treten, und so stark als möglich den übrigen entgegen, oder<lb/> mit ihnen zusammenzuwirken. Wird dabey etwas vergessen,<lb/> wird etwas während der Ueberlegung gehindert, sich gelten<lb/> zu machen, so weit es kann: so bleibt Gefahr, eine andre<lb/> Gemüthslage werde nachfolgen und die Entscheidung der<lb/> erstern verwerflich finden, — Die Ueberlegung ist demnach<lb/> ein inneres Experiment; das Resultat desselben muß mit<lb/> völliger Hingebung <hi rendition="#g">vernommen</hi> werden; davon hat die<lb/><hi rendition="#g">Vernunft</hi> im Denken und im Handeln ihren Namen.</p><lb/> <p>115. Die Vernunft ist deshalb unsprünglich nicht ge-<lb/> bietend, nicht gesetzgebend; sie ist überall keine Quelle des<lb/> Wollens. (Sie ist eben so Wenig eine Quelle von Er-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0097]
vollständige Eintheilung der Leidenschaften ist ganz unmög-
lich, eben darum weil jede Begierde, durch Umstände und
Gewöhnung verstärkt, der Ueberlegung einen verkehrten Lauf
zu geben vermag. Jede Eintheilung der Leidenschaften ist
zugleich eine Eintheilung der Begierden überhaupt. Jn
der Geschichte spielen die Leidenschaften eine große Rolle.
Man hüte sich, diese Rolle dem Weltgeiste aufzutragen;
er würde dadurch dem Mephistopheles zu ähnlich werden,
und endlich gleich diesem aus der Rolle fallen.
B. Vom obern Begehrungsvermögen.
114. Dem Urtheilen und dem Handeln geht Ue-
berlegung voran, wenn der Mensch, ehe er ein Prädi-
cat an ein Subject knüpft, — und ehe er die jetzige Lage
der Dinge abändert, zuvor noch andre mögliche Denk-
und Handlungsweisen vergleicht. Jn der Ueberlegung liegt Ver-
weilung und Aufschub; ferner Sammlung und Erwägung.
Sie soll dem Widerruf und der Reue vorbeugen. Sie lei-
stet dies, in wiefern sie jeder unter den möglichen Vorstellungs-
arten, jedem Begehren, das mit einem andern in Collision
kommen könnte, gestattet, ganz ins Bewußtseyn hervorzu-
treten, und so stark als möglich den übrigen entgegen, oder
mit ihnen zusammenzuwirken. Wird dabey etwas vergessen,
wird etwas während der Ueberlegung gehindert, sich gelten
zu machen, so weit es kann: so bleibt Gefahr, eine andre
Gemüthslage werde nachfolgen und die Entscheidung der
erstern verwerflich finden, — Die Ueberlegung ist demnach
ein inneres Experiment; das Resultat desselben muß mit
völliger Hingebung vernommen werden; davon hat die
Vernunft im Denken und im Handeln ihren Namen.
115. Die Vernunft ist deshalb unsprünglich nicht ge-
bietend, nicht gesetzgebend; sie ist überall keine Quelle des
Wollens. (Sie ist eben so Wenig eine Quelle von Er-
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(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
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