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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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baues zuführen; sie vielleicht aber auch in Einzelne,
zu kleine und stumpfe Bande vertheilen. Lasset sie
uns jezt im Ganzen, als ein helles Naturgesetz
annehmen: "Hier ist ein empfindsames We-
"sen, das keine seiner lebhaften Empfindun-
"gen in sich einschließen kann; das im ersten
"überraschenden Augenblick, selbst ohne Will-
"kühr und Absicht jede in Laut äußern muß.
"
Das war gleichsam der lezte, mütterliche Druck,
der bildenden Hand der Natur, daß sie allen das
Gesetz auf die Welt mitgab: "empfinde nicht
"für dich allein: sondern dein Gefühl töne!
"
und da dieser lezte schaffende Druck auf alle von
Einer Gattung Einartig war: so wurde dies Ge-
setz Segen: "deine Empfindung töne deinem
"Geschlecht Einartig, und werde also von
"Allen, wie von Einem mitfühlend vernom-
"men!
" Nun rühre man es nicht an, dies
schwache, empfindsame Wesen! so allein und ein-
zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls
es ausgesetzt scheinet; so ists nicht allein: es steht
mit der ganzen Natur im Bunde! zartbesaitet;
aber die Natur hat in diese Saiten Töne verbor-

gen,
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baues zufuͤhren; ſie vielleicht aber auch in Einzelne,
zu kleine und ſtumpfe Bande vertheilen. Laſſet ſie
uns jezt im Ganzen, als ein helles Naturgeſetz
annehmen: „Hier iſt ein empfindſames We-
„ſen, das keine ſeiner lebhaften Empfindun-
„gen in ſich einſchließen kann; das im erſten
„uͤberraſchenden Augenblick, ſelbſt ohne Will-
„kuͤhr und Abſicht jede in Laut aͤußern muß.

Das war gleichſam der lezte, muͤtterliche Druck,
der bildenden Hand der Natur, daß ſie allen das
Geſetz auf die Welt mitgab: „empfinde nicht
„fuͤr dich allein: ſondern dein Gefuͤhl toͤne!

und da dieſer lezte ſchaffende Druck auf alle von
Einer Gattung Einartig war: ſo wurde dies Ge-
ſetz Segen: „deine Empfindung toͤne deinem
„Geſchlecht Einartig, und werde alſo von
„Allen, wie von Einem mitfuͤhlend vernom-
„men!
„ Nun ruͤhre man es nicht an, dies
ſchwache, empfindſame Weſen! ſo allein und ein-
zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls
es ausgeſetzt ſcheinet; ſo iſts nicht allein: es ſteht
mit der ganzen Natur im Bunde! zartbeſaitet;
aber die Natur hat in dieſe Saiten Toͤne verbor-

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[5/0011] baues zufuͤhren; ſie vielleicht aber auch in Einzelne, zu kleine und ſtumpfe Bande vertheilen. Laſſet ſie uns jezt im Ganzen, als ein helles Naturgeſetz annehmen: „Hier iſt ein empfindſames We- „ſen, das keine ſeiner lebhaften Empfindun- „gen in ſich einſchließen kann; das im erſten „uͤberraſchenden Augenblick, ſelbſt ohne Will- „kuͤhr und Abſicht jede in Laut aͤußern muß.„ Das war gleichſam der lezte, muͤtterliche Druck, der bildenden Hand der Natur, daß ſie allen das Geſetz auf die Welt mitgab: „empfinde nicht „fuͤr dich allein: ſondern dein Gefuͤhl toͤne!„ und da dieſer lezte ſchaffende Druck auf alle von Einer Gattung Einartig war: ſo wurde dies Ge- ſetz Segen: „deine Empfindung toͤne deinem „Geſchlecht Einartig, und werde alſo von „Allen, wie von Einem mitfuͤhlend vernom- „men!„ Nun ruͤhre man es nicht an, dies ſchwache, empfindſame Weſen! ſo allein und ein- zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls es ausgeſetzt ſcheinet; ſo iſts nicht allein: es ſteht mit der ganzen Natur im Bunde! zartbeſaitet; aber die Natur hat in dieſe Saiten Toͤne verbor- gen, A 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/11>, abgerufen am 21.11.2024.