Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

wahren Data von neuen Menschengattungen, die
diesen Namen, wie die Thiergattungen, verdien-
ten, aufgefunden sind; daß die offenbar allmälige
und fortgehende Bevölkerung der Erde gerade das
Gegentheil von eingebohrnen Landthieren zeige;
daß die Kette der Cultur und ähnlicher Gewohn-
heiten es auch, nur dunkler, zeige u. s. w. ich
bleibe bei der Sprache. Wären die Menschen
Nationalthiere, wo jedes die seinige sich ganz un-
abhängig und abgetrennt von andern selbst erfun-
den hätte: so müßte diese gewiß "eine Verschie-
"denartigkeit
" zeigen, als vielleicht die Einwoh-
ner des Saturns und der Erde gegen einander ha-
ben mögen -- und doch geht bei uns offenbar
Alles auf Einem Grunde fort. Auf einem
Grunde, nicht blos was die Form, sondern was
würklich den Gang des menschlichen Geistes
betrift: denn unter allen Völkern der Erde ist die
Grammatik beinahe auf Einerlei Art gebaut.

Die einzige Chinesische macht, meines Wissens, eine
wesentliche Ausnahme, die ich mir aber als Aus-
nahme sehr zu erklären getraue "wie viel Chine-
"ser-Grammatiken,
und wie viele Arten dersel-
"ben müßten seyn, wenn die Erde voll Sprach-
"erfindender Landthiere
gewesen wäre!"

Woher kommts, daß so viel Völker ein Alpha-
bet
haben, und doch fast nur ein Alphabet auf dem

Erd-

wahren Data von neuen Menſchengattungen, die
dieſen Namen, wie die Thiergattungen, verdien-
ten, aufgefunden ſind; daß die offenbar allmaͤlige
und fortgehende Bevoͤlkerung der Erde gerade das
Gegentheil von eingebohrnen Landthieren zeige;
daß die Kette der Cultur und aͤhnlicher Gewohn-
heiten es auch, nur dunkler, zeige u. ſ. w. ich
bleibe bei der Sprache. Waͤren die Menſchen
Nationalthiere, wo jedes die ſeinige ſich ganz un-
abhaͤngig und abgetrennt von andern ſelbſt erfun-
den haͤtte: ſo muͤßte dieſe gewiß „eine Verſchie-
„denartigkeit
„ zeigen, als vielleicht die Einwoh-
ner des Saturns und der Erde gegen einander ha-
ben moͤgen — und doch geht bei uns offenbar
Alles auf Einem Grunde fort. Auf einem
Grunde, nicht blos was die Form, ſondern was
wuͤrklich den Gang des menſchlichen Geiſtes
betrift: denn unter allen Voͤlkern der Erde iſt die
Grammatik beinahe auf Einerlei Art gebaut.

Die einzige Chineſiſche macht, meines Wiſſens, eine
weſentliche Ausnahme, die ich mir aber als Aus-
nahme ſehr zu erklaͤren getraue „wie viel Chine-
„ſer-Grammatiken,
und wie viele Arten derſel-
„ben muͤßten ſeyn, wenn die Erde voll Sprach-
„erfindender Landthiere
geweſen waͤre!„

Woher kommts, daß ſo viel Voͤlker ein Alpha-
bet
haben, und doch faſt nur ein Alphabet auf dem

Erd-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="210"/>
wahren Data von neuen Men&#x017F;chengattungen, die<lb/>
die&#x017F;en Namen, wie die Thiergattungen, verdien-<lb/>
ten, aufgefunden &#x017F;ind; daß die offenbar allma&#x0364;lige<lb/>
und fortgehende Bevo&#x0364;lkerung der Erde gerade das<lb/>
Gegentheil von eingebohrnen Landthieren zeige;<lb/>
daß die Kette der Cultur und a&#x0364;hnlicher Gewohn-<lb/>
heiten es auch, nur dunkler, zeige u. &#x017F;. w. ich<lb/>
bleibe bei der <hi rendition="#fr">Sprache.</hi> Wa&#x0364;ren die Men&#x017F;chen<lb/>
Nationalthiere, wo jedes die &#x017F;einige &#x017F;ich ganz un-<lb/>
abha&#x0364;ngig und abgetrennt von andern &#x017F;elb&#x017F;t erfun-<lb/>
den ha&#x0364;tte: &#x017F;o mu&#x0364;ßte die&#x017F;e gewiß &#x201E;eine <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;chie-<lb/>
&#x201E;denartigkeit</hi>&#x201E; zeigen, als vielleicht die Einwoh-<lb/>
ner des Saturns und der Erde gegen einander ha-<lb/>
ben mo&#x0364;gen &#x2014; und doch geht bei uns offenbar<lb/><hi rendition="#fr">Alles auf Einem Grunde</hi> fort. Auf einem<lb/>
Grunde, nicht blos was die <hi rendition="#fr">Form,</hi> &#x017F;ondern was<lb/>
wu&#x0364;rklich den <hi rendition="#fr">Gang des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes</hi><lb/>
betrift: denn unter allen Vo&#x0364;lkern der Erde i&#x017F;t <hi rendition="#fr">die<lb/>
Grammatik beinahe auf Einerlei Art gebaut.</hi><lb/>
Die einzige Chine&#x017F;i&#x017F;che macht, meines Wi&#x017F;&#x017F;ens, eine<lb/>
we&#x017F;entliche Ausnahme, die ich mir aber als Aus-<lb/>
nahme &#x017F;ehr zu erkla&#x0364;ren getraue &#x201E;wie viel <hi rendition="#fr">Chine-<lb/>
&#x201E;&#x017F;er-Grammatiken,</hi> und wie <hi rendition="#fr">viele Arten</hi> der&#x017F;el-<lb/>
&#x201E;ben mu&#x0364;ßten &#x017F;eyn, wenn <hi rendition="#fr">die Erde voll Sprach-<lb/>
&#x201E;erfindender Landthiere</hi> gewe&#x017F;en wa&#x0364;re!&#x201E;</p><lb/>
          <p>Woher kommts, daß &#x017F;o viel Vo&#x0364;lker ein <hi rendition="#fr">Alpha-<lb/>
bet</hi> haben, und doch fa&#x017F;t nur <hi rendition="#fr">ein</hi> Alphabet auf dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Erd-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0216] wahren Data von neuen Menſchengattungen, die dieſen Namen, wie die Thiergattungen, verdien- ten, aufgefunden ſind; daß die offenbar allmaͤlige und fortgehende Bevoͤlkerung der Erde gerade das Gegentheil von eingebohrnen Landthieren zeige; daß die Kette der Cultur und aͤhnlicher Gewohn- heiten es auch, nur dunkler, zeige u. ſ. w. ich bleibe bei der Sprache. Waͤren die Menſchen Nationalthiere, wo jedes die ſeinige ſich ganz un- abhaͤngig und abgetrennt von andern ſelbſt erfun- den haͤtte: ſo muͤßte dieſe gewiß „eine Verſchie- „denartigkeit„ zeigen, als vielleicht die Einwoh- ner des Saturns und der Erde gegen einander ha- ben moͤgen — und doch geht bei uns offenbar Alles auf Einem Grunde fort. Auf einem Grunde, nicht blos was die Form, ſondern was wuͤrklich den Gang des menſchlichen Geiſtes betrift: denn unter allen Voͤlkern der Erde iſt die Grammatik beinahe auf Einerlei Art gebaut. Die einzige Chineſiſche macht, meines Wiſſens, eine weſentliche Ausnahme, die ich mir aber als Aus- nahme ſehr zu erklaͤren getraue „wie viel Chine- „ſer-Grammatiken, und wie viele Arten derſel- „ben muͤßten ſeyn, wenn die Erde voll Sprach- „erfindender Landthiere geweſen waͤre!„ Woher kommts, daß ſo viel Voͤlker ein Alpha- bet haben, und doch faſt nur ein Alphabet auf dem Erd-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/216
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/216>, abgerufen am 21.11.2024.