sinn. Er wird so beweisbar, als jener Beweis der Türken von der Göttlichkeit des Korans: "wer anders als der Prophet Gottes konnte so "schreiben?" Und wer anders als ein Prophet Gottes kann auch wissen, daß nur der Prophet Gottes so schreiben konnte? Niemand, als Gott, konnte die Sprache erfinden! Niemand als Gott kann aber auch einsehen, daß niemand, als Gott, sie erfinden konnte! und welche Hand kann es wa- gen, nicht blos etwa Sprache und die mensch- liche Seele, sondern Sprache und Gottheit aus- zumessen?
Ein höherer Ursprung hat nichts für sich, selbst nicht das Zeugniß der morgenländischen Schrift, auf die er sich beruft: denn diese gibt offenbar der Sprache einen menschlichen Anfang durch Namen- nennung der Thiere. Die menschliche Erfindung hat alles für- und durchaus nichts gegen sich: Wesen der menschlichen Seele und Element der Sprache; Analogie des menschlichen Ge- schlechts und Analogie der Fortgänge der Sprache -- das große Beispiel aller Völker, Zeiten und Theile der Welt!
Der höhere Ursprung ist, so fromm er scheine, durchaus ungöttlich: Bei jedem Schritte verklei- nert er Gott durch die niedrigsten, unvollkommen-
sten
ſinn. Er wird ſo beweisbar, als jener Beweis der Tuͤrken von der Goͤttlichkeit des Korans: „wer anders als der Prophet Gottes konnte ſo „ſchreiben?„ Und wer anders als ein Prophet Gottes kann auch wiſſen, daß nur der Prophet Gottes ſo ſchreiben konnte? Niemand, als Gott, konnte die Sprache erfinden! Niemand als Gott kann aber auch einſehen, daß niemand, als Gott, ſie erfinden konnte! und welche Hand kann es wa- gen, nicht blos etwa Sprache und die menſch- liche Seele, ſondern Sprache und Gottheit aus- zumeſſen?
Ein hoͤherer Urſprung hat nichts fuͤr ſich, ſelbſt nicht das Zeugniß der morgenlaͤndiſchen Schrift, auf die er ſich beruft: denn dieſe gibt offenbar der Sprache einen menſchlichen Anfang durch Namen- nennung der Thiere. Die menſchliche Erfindung hat alles fuͤr- und durchaus nichts gegen ſich: Weſen der menſchlichen Seele und Element der Sprache; Analogie des menſchlichen Ge- ſchlechts und Analogie der Fortgaͤnge der Sprache — das große Beiſpiel aller Voͤlker, Zeiten und Theile der Welt!
Der hoͤhere Urſprung iſt, ſo fromm er ſcheine, durchaus ungoͤttlich: Bei jedem Schritte verklei- nert er Gott durch die niedrigſten, unvollkommen-
ſten
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ſinn. Er wird ſo beweisbar, als jener Beweis
der Tuͤrken von der Goͤttlichkeit des Korans:
„wer anders als der Prophet Gottes konnte ſo
„ſchreiben?„ Und wer anders als ein Prophet
Gottes kann auch wiſſen, daß nur der Prophet
Gottes ſo ſchreiben konnte? Niemand, als Gott,
konnte die Sprache erfinden! Niemand als Gott
kann aber auch einſehen, daß niemand, als Gott,
ſie erfinden konnte! und welche Hand kann es wa-
gen, nicht blos etwa Sprache und die menſch-
liche Seele, ſondern Sprache und Gottheit aus-
zumeſſen?
Ein hoͤherer Urſprung hat nichts fuͤr ſich, ſelbſt
nicht das Zeugniß der morgenlaͤndiſchen Schrift,
auf die er ſich beruft: denn dieſe gibt offenbar der
Sprache einen menſchlichen Anfang durch Namen-
nennung der Thiere. Die menſchliche Erfindung
hat alles fuͤr- und durchaus nichts gegen ſich:
Weſen der menſchlichen Seele und Element
der Sprache; Analogie des menſchlichen Ge-
ſchlechts und Analogie der Fortgaͤnge der
Sprache — das große Beiſpiel aller Voͤlker,
Zeiten und Theile der Welt!
Der hoͤhere Urſprung iſt, ſo fromm er ſcheine,
durchaus ungoͤttlich: Bei jedem Schritte verklei-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/226>, abgerufen am 16.02.2025.
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