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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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ganen, und Naturtrieben so angemessen war, als
der Nachtigallen Gesang ihr selbst, die gleichsam
eine schwebende Lunge ist, und das war -- eben
unsre tönende Sprache. Condillac, Rousseau
und andre sind hier halb auf den Weg gekommen,
indem sie die Prosodie und den Gesang der älte-
sten Sprachen vom Geschrei der Empfindung her-
leiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung frei-
lich die ersten Töne und erhob sie; so wie aber aus
den bloßen Tönen der Empfindung nie menschliche
Sprache entstehen konnte, die dieser Gesang doch
war; so fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen:
und das war eben die Namennennung eines jeden
Geschöpfs nach seiner Sprache. Da sang und
tönte also die ganze Natur vor: und der Gesang
des Menschen war ein Concert aller dieser Stim-
men, so fern sie sein Verstand brauchte, seine Em-
pfindung faßte, seine Organe sie ausdrücken konn-
ten -- Es ward Gesang, aber weder Nachtigal-
lenlied, noch Leibnitzens musikalische Sprache,
noch ein bloßes Empfindungsgeschrei der Thiere:
Ausdruk der Sprache aller Geschöpfe, innerhalb der
natürlichen Tonleiter der menschlichen Stimme!

Selbst

ganen, und Naturtrieben ſo angemeſſen war, als
der Nachtigallen Geſang ihr ſelbſt, die gleichſam
eine ſchwebende Lunge iſt, und das war — eben
unſre toͤnende Sprache. Condillac, Rouſſeau
und andre ſind hier halb auf den Weg gekommen,
indem ſie die Proſodie und den Geſang der aͤlte-
ſten Sprachen vom Geſchrei der Empfindung her-
leiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung frei-
lich die erſten Toͤne und erhob ſie; ſo wie aber aus
den bloßen Toͤnen der Empfindung nie menſchliche
Sprache entſtehen konnte, die dieſer Geſang doch
war; ſo fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen:
und das war eben die Namennennung eines jeden
Geſchoͤpfs nach ſeiner Sprache. Da ſang und
toͤnte alſo die ganze Natur vor: und der Geſang
des Menſchen war ein Concert aller dieſer Stim-
men, ſo fern ſie ſein Verſtand brauchte, ſeine Em-
pfindung faßte, ſeine Organe ſie ausdruͤcken konn-
ten — Es ward Geſang, aber weder Nachtigal-
lenlied, noch Leibnitzens muſikaliſche Sprache,
noch ein bloßes Empfindungsgeſchrei der Thiere:
Ausdruk der Sprache aller Geſchoͤpfe, innerhalb der
natuͤrlichen Tonleiter der menſchlichen Stimme!

Selbſt
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[90/0096] ganen, und Naturtrieben ſo angemeſſen war, als der Nachtigallen Geſang ihr ſelbſt, die gleichſam eine ſchwebende Lunge iſt, und das war — eben unſre toͤnende Sprache. Condillac, Rouſſeau und andre ſind hier halb auf den Weg gekommen, indem ſie die Proſodie und den Geſang der aͤlte- ſten Sprachen vom Geſchrei der Empfindung her- leiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung frei- lich die erſten Toͤne und erhob ſie; ſo wie aber aus den bloßen Toͤnen der Empfindung nie menſchliche Sprache entſtehen konnte, die dieſer Geſang doch war; ſo fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen: und das war eben die Namennennung eines jeden Geſchoͤpfs nach ſeiner Sprache. Da ſang und toͤnte alſo die ganze Natur vor: und der Geſang des Menſchen war ein Concert aller dieſer Stim- men, ſo fern ſie ſein Verſtand brauchte, ſeine Em- pfindung faßte, ſeine Organe ſie ausdruͤcken konn- ten — Es ward Geſang, aber weder Nachtigal- lenlied, noch Leibnitzens muſikaliſche Sprache, noch ein bloßes Empfindungsgeſchrei der Thiere: Ausdruk der Sprache aller Geſchoͤpfe, innerhalb der natuͤrlichen Tonleiter der menſchlichen Stimme! Selbſt

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/96>, abgerufen am 28.11.2024.