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Herder, Johann Gottfried von: Kapitel 5; Kapitel 6. In: Über die neuere Deutsche Litteratur. […] Dritte Sammlung. Riga, 1767, S. 50–75.

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Ausdruck erhaschen wollte, und wie die Alten zu sprechen, weil man wiederum den Ausdruck vom Gedanken abgesondert betrachtete. Je mehr ich der Sache nachdenke, daß man es für nüzzlich, ja für nothwendig habe halten können, in Poesien Gedanke und Ausdruck unverbunden zu behandeln, in Poeticken unverbunden zu lehren, und in Alten unverbunden zu zergliedern: desto fremder kömmt mir diese Zerreißung vor.

Gedanke und Ausdruck! verhält er sich hier wie ein Kleid zu seinem Körper* Das beste Kleid ist bey einem schönen Körper blos Hinderniß. - Verhält er sich, wie die Haut zum Körper **? Auch noch nicht gnug: die Farbe und glatte Haut macht nie die Schönheit vollkommen aus. Wie eine Braut bei ihrem Geliebten, wenn derselbe seinen Arm um sie geschlungen, an ihrem Munde hanget: Wie zwei zusammen Vermälte, die sich einander mittheilen; ein Paar Zwillinge, die zusammen gebildet und erzogen, sich lieben und begleiten wie Shakespears Freundinnen? Diese Bilder sind bedeutend, aber wie

* Litt. Br. Th. 17. p. 114.
** p. 114.

Ausdruck erhaschen wollte, und wie die Alten zu sprechen, weil man wiederum den Ausdruck vom Gedanken abgesondert betrachtete. Je mehr ich der Sache nachdenke, daß man es für nüzzlich, ja für nothwendig habe halten können, in Poesien Gedanke und Ausdruck unverbunden zu behandeln, in Poeticken unverbunden zu lehren, und in Alten unverbunden zu zergliedern: desto fremder kömmt mir diese Zerreißung vor.

Gedanke und Ausdruck! verhält er sich hier wie ein Kleid zu seinem Körper* Das beste Kleid ist bey einem schönen Körper blos Hinderniß. – Verhält er sich, wie die Haut zum Körper **? Auch noch nicht gnug: die Farbe und glatte Haut macht nie die Schönheit vollkommen aus. Wie eine Braut bei ihrem Geliebten, wenn derselbe seinen Arm um sie geschlungen, an ihrem Munde hanget: Wie zwei zusammen Vermälte, die sich einander mittheilen; ein Paar Zwillinge, die zusammen gebildet und erzogen, sich lieben und begleiten wie Shakespears Freundinnen? Diese Bilder sind bedeutend, aber wie

* Litt. Br. Th. 17. p. 114.
** p. 114.
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[69/0021] Ausdruck erhaschen wollte, und wie die Alten zu sprechen, weil man wiederum den Ausdruck vom Gedanken abgesondert betrachtete. Je mehr ich der Sache nachdenke, daß man es für nüzzlich, ja für nothwendig habe halten können, in Poesien Gedanke und Ausdruck unverbunden zu behandeln, in Poeticken unverbunden zu lehren, und in Alten unverbunden zu zergliedern: desto fremder kömmt mir diese Zerreißung vor. Gedanke und Ausdruck! verhält er sich hier wie ein Kleid zu seinem Körper * Das beste Kleid ist bey einem schönen Körper blos Hinderniß. – Verhält er sich, wie die Haut zum Körper **? Auch noch nicht gnug: die Farbe und glatte Haut macht nie die Schönheit vollkommen aus. Wie eine Braut bei ihrem Geliebten, wenn derselbe seinen Arm um sie geschlungen, an ihrem Munde hanget: Wie zwei zusammen Vermälte, die sich einander mittheilen; ein Paar Zwillinge, die zusammen gebildet und erzogen, sich lieben und begleiten wie Shakespears Freundinnen? Diese Bilder sind bedeutend, aber wie * Litt. Br. Th. 17. p. 114. ** p. 114.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kapitel 5; Kapitel 6. In: Über die neuere Deutsche Litteratur. […] Dritte Sammlung. Riga, 1767, S. 50–75, hier S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767/21>, abgerufen am 26.04.2024.