fanden die Ankömmlinge des Menschengeschlechts die Ge- gend, wenigstens in einigen Elementen, schon besetzt: denn wovon sollte außer den Pflanzen sonst der Ankömmling le- ben? Jede Geschichte des Menschen also, die ihn ausser die- sem Verhältniß betrachtet, muß mangelhaft und einseitig werden. Freilich ist die Erde dem Menschen gegeben; aber nicht ihm allein, nicht ihm zuvörderst; in jedem Element machten ihm die Thiere seine Alleinherrschaft streitig. Dies Geschlecht mußte er zähmen; mit jenem lange kämpfen. Einige entronnen seiner Herrschaft: mit andern lebet er in ewigem Kriege. Kurz, so viel Geschicklichkeit, Klugheit, Herz und Macht jede Art äußerte; so weit nahm sie Besitz auf der Erde.
Es gehört also noch nicht hieher: ob der Mensch Ver- nunft, und ob die Thiere keine Vernunft haben? Haben sie diese nicht, so besitzen sie etwas anders zu ihrem Vortheil: denn gewiß hat die Natur keines ihrer Kinder verwahrloset. Verliesse Sie ein Geschöpf, wer sollte sich sein annehmen? da die ganze Schöpfung in einem Kriege ist und die entge- gengesetztesten Kräfte einander so nahe liegen. Der Gott- gleiche Mensch wird hier von Schlangen, dort vom Unge- ziefer verfolgt; hier vom Tiger, dort vom Haifisch verschlun- gen. Alles ist im Streit gegen einander, weil alles selbst be-
drängt
fanden die Ankoͤmmlinge des Menſchengeſchlechts die Ge- gend, wenigſtens in einigen Elementen, ſchon beſetzt: denn wovon ſollte außer den Pflanzen ſonſt der Ankoͤmmling le- ben? Jede Geſchichte des Menſchen alſo, die ihn auſſer die- ſem Verhaͤltniß betrachtet, muß mangelhaft und einſeitig werden. Freilich iſt die Erde dem Menſchen gegeben; aber nicht ihm allein, nicht ihm zuvoͤrderſt; in jedem Element machten ihm die Thiere ſeine Alleinherrſchaft ſtreitig. Dies Geſchlecht mußte er zaͤhmen; mit jenem lange kaͤmpfen. Einige entronnen ſeiner Herrſchaft: mit andern lebet er in ewigem Kriege. Kurz, ſo viel Geſchicklichkeit, Klugheit, Herz und Macht jede Art aͤußerte; ſo weit nahm ſie Beſitz auf der Erde.
Es gehoͤrt alſo noch nicht hieher: ob der Menſch Ver- nunft, und ob die Thiere keine Vernunft haben? Haben ſie dieſe nicht, ſo beſitzen ſie etwas anders zu ihrem Vortheil: denn gewiß hat die Natur keines ihrer Kinder verwahrloſet. Verlieſſe Sie ein Geſchoͤpf, wer ſollte ſich ſein annehmen? da die ganze Schoͤpfung in einem Kriege iſt und die entge- gengeſetzteſten Kraͤfte einander ſo nahe liegen. Der Gott- gleiche Menſch wird hier von Schlangen, dort vom Unge- ziefer verfolgt; hier vom Tiger, dort vom Haifiſch verſchlun- gen. Alles iſt im Streit gegen einander, weil alles ſelbſt be-
draͤngt
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fanden die Ankoͤmmlinge des Menſchengeſchlechts die Ge-
gend, wenigſtens in einigen Elementen, ſchon beſetzt: denn
wovon ſollte außer den Pflanzen ſonſt der Ankoͤmmling le-
ben? Jede Geſchichte des Menſchen alſo, die ihn auſſer die-
ſem Verhaͤltniß betrachtet, muß mangelhaft und einſeitig
werden. Freilich iſt die Erde dem Menſchen gegeben; aber
nicht ihm allein, nicht ihm zuvoͤrderſt; in jedem Element
machten ihm die Thiere ſeine Alleinherrſchaft ſtreitig. Dies
Geſchlecht mußte er zaͤhmen; mit jenem lange kaͤmpfen.
Einige entronnen ſeiner Herrſchaft: mit andern lebet er in
ewigem Kriege. Kurz, ſo viel Geſchicklichkeit, Klugheit,
Herz und Macht jede Art aͤußerte; ſo weit nahm ſie Beſitz
auf der Erde.
Es gehoͤrt alſo noch nicht hieher: ob der Menſch Ver-
nunft, und ob die Thiere keine Vernunft haben? Haben ſie
dieſe nicht, ſo beſitzen ſie etwas anders zu ihrem Vortheil:
denn gewiß hat die Natur keines ihrer Kinder verwahrloſet.
Verlieſſe Sie ein Geſchoͤpf, wer ſollte ſich ſein annehmen?
da die ganze Schoͤpfung in einem Kriege iſt und die entge-
gengeſetzteſten Kraͤfte einander ſo nahe liegen. Der Gott-
gleiche Menſch wird hier von Schlangen, dort vom Unge-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/101>, abgerufen am 24.11.2024.
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