Erdtheil vollendet; und muß sie statt der verdrängeten Wil- den nicht in einem größeren Maas zahmere Thiere nähren? Noch ist also, bei der gegenwärtigen Beschaffenheit unsrer Erde, keine Gattung ausgegangen; ob ich gleich nicht zwei- fle, daß da diese anders war, auch andre Thiergattungen ha- ben seyn können, und wenn sie sich einmal durch Kunst oder Natur völlig ändern sollte, auch ein andres Verhältniß der lebendigen Geschlechter seyn werde.
Kurz der Mensch trat auf eine bewohnte Erde: alle Elemente, Sümpfe und Ströme, Sand und Luft waren mit Geschöpfen erfüllt oder fülleten sich mit Geschöpfen; und er mußte sich durch seine Götterkunst der List und Macht einen Platz seiner Herrschaft auswirken. Wie er dies gethan ha- be? ist die Geschichte seiner Cultur, an der die rohesten Völ- ker Antheil nehmen; der interessanteste Theil der Geschichte der Menschheit. Hier bemerke ich nur Eins, daß die Men- schen, indem sie sich allmälich die Herrschaft über die Thiere erwarben, das meiste von Thieren selbst lernten. Diese wa- ren die lebendigen Funken des göttlichen Verstandes, von denen der Mensch in Absicht auf Speise, Lebensart, Klei- dung, Geschicklichkeit, Kunst, Triebe in einem größern oder kleinern Kreise die Stralen auf sich zusammen lenkte. Je mehr, je heller er dieses that, je klügere Thiere er vor sich
fand,
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Erdtheil vollendet; und muß ſie ſtatt der verdraͤngeten Wil- den nicht in einem groͤßeren Maas zahmere Thiere naͤhren? Noch iſt alſo, bei der gegenwaͤrtigen Beſchaffenheit unſrer Erde, keine Gattung ausgegangen; ob ich gleich nicht zwei- fle, daß da dieſe anders war, auch andre Thiergattungen ha- ben ſeyn koͤnnen, und wenn ſie ſich einmal durch Kunſt oder Natur voͤllig aͤndern ſollte, auch ein andres Verhaͤltniß der lebendigen Geſchlechter ſeyn werde.
Kurz der Menſch trat auf eine bewohnte Erde: alle Elemente, Suͤmpfe und Stroͤme, Sand und Luft waren mit Geſchoͤpfen erfuͤllt oder fuͤlleten ſich mit Geſchoͤpfen; und er mußte ſich durch ſeine Goͤtterkunſt der Liſt und Macht einen Platz ſeiner Herrſchaft auswirken. Wie er dies gethan ha- be? iſt die Geſchichte ſeiner Cultur, an der die roheſten Voͤl- ker Antheil nehmen; der intereſſanteſte Theil der Geſchichte der Menſchheit. Hier bemerke ich nur Eins, daß die Men- ſchen, indem ſie ſich allmaͤlich die Herrſchaft uͤber die Thiere erwarben, das meiſte von Thieren ſelbſt lernten. Dieſe wa- ren die lebendigen Funken des goͤttlichen Verſtandes, von denen der Menſch in Abſicht auf Speiſe, Lebensart, Klei- dung, Geſchicklichkeit, Kunſt, Triebe in einem groͤßern oder kleinern Kreiſe die Stralen auf ſich zuſammen lenkte. Je mehr, je heller er dieſes that, je kluͤgere Thiere er vor ſich
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Erdtheil vollendet; und muß ſie ſtatt der verdraͤngeten Wil-
den nicht in einem groͤßeren Maas zahmere Thiere naͤhren?
Noch iſt alſo, bei der gegenwaͤrtigen Beſchaffenheit unſrer
Erde, keine Gattung ausgegangen; ob ich gleich nicht zwei-
fle, daß da dieſe anders war, auch andre Thiergattungen ha-
ben ſeyn koͤnnen, und wenn ſie ſich einmal durch Kunſt oder
Natur voͤllig aͤndern ſollte, auch ein andres Verhaͤltniß der
lebendigen Geſchlechter ſeyn werde.
Kurz der Menſch trat auf eine bewohnte Erde: alle
Elemente, Suͤmpfe und Stroͤme, Sand und Luft waren mit
Geſchoͤpfen erfuͤllt oder fuͤlleten ſich mit Geſchoͤpfen; und er
mußte ſich durch ſeine Goͤtterkunſt der Liſt und Macht einen
Platz ſeiner Herrſchaft auswirken. Wie er dies gethan ha-
be? iſt die Geſchichte ſeiner Cultur, an der die roheſten Voͤl-
ker Antheil nehmen; der intereſſanteſte Theil der Geſchichte
der Menſchheit. Hier bemerke ich nur Eins, daß die Men-
ſchen, indem ſie ſich allmaͤlich die Herrſchaft uͤber die Thiere
erwarben, das meiſte von Thieren ſelbſt lernten. Dieſe wa-
ren die lebendigen Funken des goͤttlichen Verſtandes, von
denen der Menſch in Abſicht auf Speiſe, Lebensart, Klei-
dung, Geſchicklichkeit, Kunſt, Triebe in einem groͤßern oder
kleinern Kreiſe die Stralen auf ſich zuſammen lenkte. Je
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/103>, abgerufen am 21.11.2024.
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