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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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Zweitens. Je vielfacher die innere Organisation des
Geschöpfs zur feinern Lebenswärme ward, desto mehr sehen
wir, wird dasselbe fähig, Lebendige zu empfangen und zu
gebähren
. Abermals eine Sprosse desselben großen Lebens-
baumes durch alle Gattungen der Geschöpfe *).

Es ist bekannt, daß die meisten Pflanzen sich selbst be-
gatten und daß auch, wo die Glieder des Geschlechts getheilt
sind, sich viel Androgynen und Polygamen finden. Glei-
chergestalt ists bemerkt, daß bei den niedrigern Arten der Thie-
re, den Pflanzengeschöpfen, Schnecken, Jnsekten entweder
die thierischen Zeugungstheile noch fehlen, und das Geschöpf
wie Pflanze nur fortzusprossen scheinet, oder daß es unter ih-
nen Hermaphroditen, Androgynen und mehrere Anomalien
gebe, die hier aufzuzählen nicht der Ort ist. Je vielfacher
die Organisation des Thiers wird, desto bestimmter gehn die
Geschlechter aus einander. Hier konnte sich die Natur nicht
mehr an organischen Keimen begnügen; die Formung eines
in seinen Theilen so vielartigen und vielgestalteten Wesens

wäre
*) Man wende nicht ein, daß auch Polypen, einige Schnecken und
sogar die Blattläuse Lebendige gebähren: auf diese Weise ge-
biert auch die Pflanze Lebendige, indem sie Keime treibet.
Hier ist von lebendiggebährenden säugenden Thieren die
Rede.
O 2

Zweitens. Je vielfacher die innere Organiſation des
Geſchoͤpfs zur feinern Lebenswaͤrme ward, deſto mehr ſehen
wir, wird daſſelbe faͤhig, Lebendige zu empfangen und zu
gebaͤhren
. Abermals eine Sproſſe deſſelben großen Lebens-
baumes durch alle Gattungen der Geſchoͤpfe *).

Es iſt bekannt, daß die meiſten Pflanzen ſich ſelbſt be-
gatten und daß auch, wo die Glieder des Geſchlechts getheilt
ſind, ſich viel Androgynen und Polygamen finden. Glei-
chergeſtalt iſts bemerkt, daß bei den niedrigern Arten der Thie-
re, den Pflanzengeſchoͤpfen, Schnecken, Jnſekten entweder
die thieriſchen Zeugungstheile noch fehlen, und das Geſchoͤpf
wie Pflanze nur fortzuſproſſen ſcheinet, oder daß es unter ih-
nen Hermaphroditen, Androgynen und mehrere Anomalien
gebe, die hier aufzuzaͤhlen nicht der Ort iſt. Je vielfacher
die Organiſation des Thiers wird, deſto beſtimmter gehn die
Geſchlechter aus einander. Hier konnte ſich die Natur nicht
mehr an organiſchen Keimen begnuͤgen; die Formung eines
in ſeinen Theilen ſo vielartigen und vielgeſtalteten Weſens

waͤre
*) Man wende nicht ein, daß auch Polypen, einige Schnecken und
ſogar die Blattlaͤuſe Lebendige gebaͤhren: auf dieſe Weiſe ge-
biert auch die Pflanze Lebendige, indem ſie Keime treibet.
Hier iſt von lebendiggebaͤhrenden ſaͤugenden Thieren die
Rede.
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[107/0129] Zweitens. Je vielfacher die innere Organiſation des Geſchoͤpfs zur feinern Lebenswaͤrme ward, deſto mehr ſehen wir, wird daſſelbe faͤhig, Lebendige zu empfangen und zu gebaͤhren. Abermals eine Sproſſe deſſelben großen Lebens- baumes durch alle Gattungen der Geſchoͤpfe *). Es iſt bekannt, daß die meiſten Pflanzen ſich ſelbſt be- gatten und daß auch, wo die Glieder des Geſchlechts getheilt ſind, ſich viel Androgynen und Polygamen finden. Glei- chergeſtalt iſts bemerkt, daß bei den niedrigern Arten der Thie- re, den Pflanzengeſchoͤpfen, Schnecken, Jnſekten entweder die thieriſchen Zeugungstheile noch fehlen, und das Geſchoͤpf wie Pflanze nur fortzuſproſſen ſcheinet, oder daß es unter ih- nen Hermaphroditen, Androgynen und mehrere Anomalien gebe, die hier aufzuzaͤhlen nicht der Ort iſt. Je vielfacher die Organiſation des Thiers wird, deſto beſtimmter gehn die Geſchlechter aus einander. Hier konnte ſich die Natur nicht mehr an organiſchen Keimen begnuͤgen; die Formung eines in ſeinen Theilen ſo vielartigen und vielgeſtalteten Weſens waͤre *) Man wende nicht ein, daß auch Polypen, einige Schnecken und ſogar die Blattlaͤuſe Lebendige gebaͤhren: auf dieſe Weiſe ge- biert auch die Pflanze Lebendige, indem ſie Keime treibet. Hier iſt von lebendiggebaͤhrenden ſaͤugenden Thieren die Rede. O 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/129>, abgerufen am 02.05.2024.