füllte. Das große Gehirn liegt nicht oberhalb dem kleinen und drücket dasselbe nicht durch seine Schwere; die trennen- de Membrane steht senkrecht. Die zahlreichen Nerven des Thiers wenden sich großentheils zu den feinern Sinnen und der Rüssel allein empfängt derselben soviel als sein ganzer ungeheurer Körper. Die Muskeln, die ihn bewegen, ent- springen an der Stirn: er ist ganz ohne Knorpel, das Werk- zeug eines zarten Gefühls, eines feinen Geruchs und der leichtesten Bewegung. Jn ihm also vereinigen sich mehrere Sinne und berichtigen einander. Das geistvolle Auge des Elephanten (das auch am untern Augenliede, dem Menschen und sonst keinem Thier gleich, Haare und eine zarte Mus- kelbewegung hat,) hat also die feinern fühlenden Sinne zu Nachbarn und diese sind vom Geschmack, der sonst das Thier hinreißt, gesondert. Was bei andern, znmal Fleischfressen- den Thieren der herrschende Theil des Gesichts zu seyn pflegt, der Mund, ist hier unter die hervorragende Stirn, unter den erhöheten Rüßel tief heruntergesetzt und beinah verborgen. Noch kleiner ist seine Zunge: die Waffen der Vertheidigung, die er im Munde trägt, sind von den Werkzeugen der Nah- rung unterschieden; zur wilden Freßgier ist er also nicht ge- bildet. Sein Magen ist einfach und klein, so groß die Ein- geweide seyn mußten: ihn kann also wahrscheinlich nicht, wie das Raubthier, der wütende Hunger quälen. Friedlich und
rein-
fuͤllte. Das große Gehirn liegt nicht oberhalb dem kleinen und druͤcket daſſelbe nicht durch ſeine Schwere; die trennen- de Membrane ſteht ſenkrecht. Die zahlreichen Nerven des Thiers wenden ſich großentheils zu den feinern Sinnen und der Ruͤſſel allein empfaͤngt derſelben ſoviel als ſein ganzer ungeheurer Koͤrper. Die Muskeln, die ihn bewegen, ent- ſpringen an der Stirn: er iſt ganz ohne Knorpel, das Werk- zeug eines zarten Gefuͤhls, eines feinen Geruchs und der leichteſten Bewegung. Jn ihm alſo vereinigen ſich mehrere Sinne und berichtigen einander. Das geiſtvolle Auge des Elephanten (das auch am untern Augenliede, dem Menſchen und ſonſt keinem Thier gleich, Haare und eine zarte Mus- kelbewegung hat,) hat alſo die feinern fuͤhlenden Sinne zu Nachbarn und dieſe ſind vom Geſchmack, der ſonſt das Thier hinreißt, geſondert. Was bei andern, znmal Fleiſchfreſſen- den Thieren der herrſchende Theil des Geſichts zu ſeyn pflegt, der Mund, iſt hier unter die hervorragende Stirn, unter den erhoͤheten Ruͤßel tief heruntergeſetzt und beinah verborgen. Noch kleiner iſt ſeine Zunge: die Waffen der Vertheidigung, die er im Munde traͤgt, ſind von den Werkzeugen der Nah- rung unterſchieden; zur wilden Freßgier iſt er alſo nicht ge- bildet. Sein Magen iſt einfach und klein, ſo groß die Ein- geweide ſeyn mußten: ihn kann alſo wahrſcheinlich nicht, wie das Raubthier, der wuͤtende Hunger quaͤlen. Friedlich und
rein-
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fuͤllte. Das große Gehirn liegt nicht oberhalb dem kleinen
und druͤcket daſſelbe nicht durch ſeine Schwere; die trennen-
de Membrane ſteht ſenkrecht. Die zahlreichen Nerven des
Thiers wenden ſich großentheils zu den feinern Sinnen und
der Ruͤſſel allein empfaͤngt derſelben ſoviel als ſein ganzer
ungeheurer Koͤrper. Die Muskeln, die ihn bewegen, ent-
ſpringen an der Stirn: er iſt ganz ohne Knorpel, das Werk-
zeug eines zarten Gefuͤhls, eines feinen Geruchs und der
leichteſten Bewegung. Jn ihm alſo vereinigen ſich mehrere
Sinne und berichtigen einander. Das geiſtvolle Auge des
Elephanten (das auch am untern Augenliede, dem Menſchen
und ſonſt keinem Thier gleich, Haare und eine zarte Mus-
kelbewegung hat,) hat alſo die feinern fuͤhlenden Sinne zu
Nachbarn und dieſe ſind vom Geſchmack, der ſonſt das Thier
hinreißt, geſondert. Was bei andern, znmal Fleiſchfreſſen-
den Thieren der herrſchende Theil des Geſichts zu ſeyn pflegt,
der Mund, iſt hier unter die hervorragende Stirn, unter den
erhoͤheten Ruͤßel tief heruntergeſetzt und beinah verborgen.
Noch kleiner iſt ſeine Zunge: die Waffen der Vertheidigung,
die er im Munde traͤgt, ſind von den Werkzeugen der Nah-
rung unterſchieden; zur wilden Freßgier iſt er alſo nicht ge-
bildet. Sein Magen iſt einfach und klein, ſo groß die Ein-
geweide ſeyn mußten: ihn kann alſo wahrſcheinlich nicht, wie
das Raubthier, der wuͤtende Hunger quaͤlen. Friedlich und
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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