Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Thiere! Auf Muskeln hat es die Natur bey ihm gerichtet;
auf Sanftmuth und feine Verständigkeit nicht. Sein Ge-
hirn machte sie klein; und seine Nerven so schwach, als es
dem Verhältniß nach selbst die Nerven der Katze nicht sind;
die Muskeln dagegen dick und stark und setzte sie an ihren
Knochen in eine solche Lage, daß aus ihnen zwar nicht die
vielfachste und feinste Bewegung, aber desto mehr Kraft ent-
stehen sollte. Ein eigner großer Muskel, der den Hals er-
hebt, ein Muskel des Vorderfußes, der zum Vesthalten
dient, ein Fußgelenk dicht an der Klaue; diese groß und
krumm, daß ihre Spitze nie stumpf werden kann, weil sie nie
die Erde berührt; solche wurden des Löwen Gaben. Sein
Magen ist lang und stark gebogen; das Reiben desselben und
also sein Hunger muß fürchterlich seyn. Klein ist sein Herz,
aber zart und weit die Hölen desselben; viel länger und wei-
ter als beim Menschen. Auch die Wände seines Herzens
sind doppelt so dünn und die Pulsadern doppelt so klein, daß
das Blut des Löwen, sobald es aus dem Herzen tritt, schon
viermal und in den Zweigen der 15ten Abtheilung hundert-
mal schneller läuft, als im Menschen. Das Herz des Ele-
phanten dagegen schlägt ruhig, beinah wie bei kaltblütigen

Thieren.
Nov. Commentar. Acad. Scient. Petrop. T. XV. XVI. nach
deren Art ich die physiologisch-anatomische Beschreibung meh-
rerer Thiere wünschte.

Thiere! Auf Muskeln hat es die Natur bey ihm gerichtet;
auf Sanftmuth und feine Verſtaͤndigkeit nicht. Sein Ge-
hirn machte ſie klein; und ſeine Nerven ſo ſchwach, als es
dem Verhaͤltniß nach ſelbſt die Nerven der Katze nicht ſind;
die Muskeln dagegen dick und ſtark und ſetzte ſie an ihren
Knochen in eine ſolche Lage, daß aus ihnen zwar nicht die
vielfachſte und feinſte Bewegung, aber deſto mehr Kraft ent-
ſtehen ſollte. Ein eigner großer Muskel, der den Hals er-
hebt, ein Muskel des Vorderfußes, der zum Veſthalten
dient, ein Fußgelenk dicht an der Klaue; dieſe groß und
krumm, daß ihre Spitze nie ſtumpf werden kann, weil ſie nie
die Erde beruͤhrt; ſolche wurden des Loͤwen Gaben. Sein
Magen iſt lang und ſtark gebogen; das Reiben deſſelben und
alſo ſein Hunger muß fuͤrchterlich ſeyn. Klein iſt ſein Herz,
aber zart und weit die Hoͤlen deſſelben; viel laͤnger und wei-
ter als beim Menſchen. Auch die Waͤnde ſeines Herzens
ſind doppelt ſo duͤnn und die Pulsadern doppelt ſo klein, daß
das Blut des Loͤwen, ſobald es aus dem Herzen tritt, ſchon
viermal und in den Zweigen der 15ten Abtheilung hundert-
mal ſchneller laͤuft, als im Menſchen. Das Herz des Ele-
phanten dagegen ſchlaͤgt ruhig, beinah wie bei kaltbluͤtigen

Thieren.
Nov. Commentar. Acad. Scient. Petrop. T. XV. XVI. nach
deren Art ich die phyſiologiſch-anatomiſche Beſchreibung meh-
rerer Thiere wuͤnſchte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0152" n="130"/>
Thiere! Auf Muskeln hat es die Natur bey ihm gerichtet;<lb/>
auf Sanftmuth und feine Ver&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit nicht. Sein Ge-<lb/>
hirn machte &#x017F;ie klein; und &#x017F;eine Nerven &#x017F;o &#x017F;chwach, als es<lb/>
dem Verha&#x0364;ltniß nach &#x017F;elb&#x017F;t die Nerven der Katze nicht &#x017F;ind;<lb/>
die Muskeln dagegen dick und &#x017F;tark und &#x017F;etzte &#x017F;ie an ihren<lb/>
Knochen in eine &#x017F;olche Lage, daß aus ihnen zwar nicht die<lb/>
vielfach&#x017F;te und fein&#x017F;te Bewegung, aber de&#x017F;to mehr Kraft ent-<lb/>
&#x017F;tehen &#x017F;ollte. Ein eigner großer Muskel, der den Hals er-<lb/>
hebt, ein Muskel des Vorderfußes, der zum Ve&#x017F;thalten<lb/>
dient, ein Fußgelenk dicht an der Klaue; die&#x017F;e groß und<lb/>
krumm, daß ihre Spitze nie &#x017F;tumpf werden kann, weil &#x017F;ie nie<lb/>
die Erde beru&#x0364;hrt; &#x017F;olche wurden des Lo&#x0364;wen Gaben. Sein<lb/>
Magen i&#x017F;t lang und &#x017F;tark gebogen; das Reiben de&#x017F;&#x017F;elben und<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;ein Hunger muß fu&#x0364;rchterlich &#x017F;eyn. Klein i&#x017F;t &#x017F;ein Herz,<lb/>
aber zart und weit die Ho&#x0364;len de&#x017F;&#x017F;elben; viel la&#x0364;nger und wei-<lb/>
ter als beim Men&#x017F;chen. Auch die Wa&#x0364;nde &#x017F;eines Herzens<lb/>
&#x017F;ind doppelt &#x017F;o du&#x0364;nn und die Pulsadern doppelt &#x017F;o klein, daß<lb/>
das Blut des Lo&#x0364;wen, &#x017F;obald es aus dem Herzen tritt, &#x017F;chon<lb/>
viermal und in den Zweigen der 15ten Abtheilung hundert-<lb/>
mal &#x017F;chneller la&#x0364;uft, als im Men&#x017F;chen. Das Herz des Ele-<lb/>
phanten dagegen &#x017F;chla&#x0364;gt ruhig, beinah wie bei kaltblu&#x0364;tigen<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Nov. Commentar. Acad. Scient. Petrop. T. XV. XVI.</hi> nach<lb/>
deren Art ich die phy&#x017F;iologi&#x017F;ch-anatomi&#x017F;che Be&#x017F;chreibung meh-<lb/>
rerer Thiere wu&#x0364;n&#x017F;chte.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Thieren.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0152] Thiere! Auf Muskeln hat es die Natur bey ihm gerichtet; auf Sanftmuth und feine Verſtaͤndigkeit nicht. Sein Ge- hirn machte ſie klein; und ſeine Nerven ſo ſchwach, als es dem Verhaͤltniß nach ſelbſt die Nerven der Katze nicht ſind; die Muskeln dagegen dick und ſtark und ſetzte ſie an ihren Knochen in eine ſolche Lage, daß aus ihnen zwar nicht die vielfachſte und feinſte Bewegung, aber deſto mehr Kraft ent- ſtehen ſollte. Ein eigner großer Muskel, der den Hals er- hebt, ein Muskel des Vorderfußes, der zum Veſthalten dient, ein Fußgelenk dicht an der Klaue; dieſe groß und krumm, daß ihre Spitze nie ſtumpf werden kann, weil ſie nie die Erde beruͤhrt; ſolche wurden des Loͤwen Gaben. Sein Magen iſt lang und ſtark gebogen; das Reiben deſſelben und alſo ſein Hunger muß fuͤrchterlich ſeyn. Klein iſt ſein Herz, aber zart und weit die Hoͤlen deſſelben; viel laͤnger und wei- ter als beim Menſchen. Auch die Waͤnde ſeines Herzens ſind doppelt ſo duͤnn und die Pulsadern doppelt ſo klein, daß das Blut des Loͤwen, ſobald es aus dem Herzen tritt, ſchon viermal und in den Zweigen der 15ten Abtheilung hundert- mal ſchneller laͤuft, als im Menſchen. Das Herz des Ele- phanten dagegen ſchlaͤgt ruhig, beinah wie bei kaltbluͤtigen *) Thieren. *) Nov. Commentar. Acad. Scient. Petrop. T. XV. XVI. nach deren Art ich die phyſiologiſch-anatomiſche Beſchreibung meh- rerer Thiere wuͤnſchte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/152
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/152>, abgerufen am 21.11.2024.