ab, daß einige ihrer Füße daran hangen bleiben und tritt durch langsame und schnellere Uebergänge in einen ganz neuen Zustand. Kräfte hiezu verlieh ihr ihr erstes Lebensalter, da sie als Raupe nur der Nahrung diente; jetzt soll sie auch der Erhaltung ihres Geschlechts dienen und zur Gestalt hiezu arbeiten ihre Ringe und gebähren sich ihre Glieder. Die Natur hat also bei der Organisation dieses Geschöpfs Le- bensalter und Triebe nur weiter auseinander gelegt und läßt sich dieselbe in eignen Uebergängen organisch bereiten -- dem Geschöpf so unwillkührlich, als der Schlange wenn sie sich häutet.
Das Gewebe der Spinne, was ists anders als der Spinne verlängertes Selbst, ihren Raub zu erhalten? Wie der Polyp die Arme ausstreckt, ihn zu fassen: wie sie die Krallen bekam, ihn vest zu halten; so erhielt sie auch die Warzen, zwischen welchen sie das Gespinnst hervorzieht, den Raub zu erjagen. Sie bekam diesen Saft unge- fähr zu so vielen Gespinnsten, als auf ihr Leben hinreichen und ist sie darin unglücklich, so muß sie entweder zu gewalt- samen Mitteln Zuflucht nehmen oder sterben. Der ihren ganzen Körper und alle demselben einwohnende Kräfte orga- nisirte, bildete sie also zu diesem Gewebe organisch.
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ab, daß einige ihrer Fuͤße daran hangen bleiben und tritt durch langſame und ſchnellere Uebergaͤnge in einen ganz neuen Zuſtand. Kraͤfte hiezu verlieh ihr ihr erſtes Lebensalter, da ſie als Raupe nur der Nahrung diente; jetzt ſoll ſie auch der Erhaltung ihres Geſchlechts dienen und zur Geſtalt hiezu arbeiten ihre Ringe und gebaͤhren ſich ihre Glieder. Die Natur hat alſo bei der Organiſation dieſes Geſchoͤpfs Le- bensalter und Triebe nur weiter auseinander gelegt und laͤßt ſich dieſelbe in eignen Uebergaͤngen organiſch bereiten — dem Geſchoͤpf ſo unwillkuͤhrlich, als der Schlange wenn ſie ſich haͤutet.
Das Gewebe der Spinne, was iſts anders als der Spinne verlaͤngertes Selbſt, ihren Raub zu erhalten? Wie der Polyp die Arme ausſtreckt, ihn zu faſſen: wie ſie die Krallen bekam, ihn veſt zu halten; ſo erhielt ſie auch die Warzen, zwiſchen welchen ſie das Geſpinnſt hervorzieht, den Raub zu erjagen. Sie bekam dieſen Saft unge- faͤhr zu ſo vielen Geſpinnſten, als auf ihr Leben hinreichen und iſt ſie darin ungluͤcklich, ſo muß ſie entweder zu gewalt- ſamen Mitteln Zuflucht nehmen oder ſterben. Der ihren ganzen Koͤrper und alle demſelben einwohnende Kraͤfte orga- niſirte, bildete ſie alſo zu dieſem Gewebe organiſch.
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ab, daß einige ihrer Fuͤße daran hangen bleiben und tritt
durch langſame und ſchnellere Uebergaͤnge in einen ganz neuen
Zuſtand. Kraͤfte hiezu verlieh ihr ihr erſtes Lebensalter, da
ſie als Raupe nur der Nahrung diente; jetzt ſoll ſie auch der
Erhaltung ihres Geſchlechts dienen und zur Geſtalt hiezu
arbeiten ihre Ringe und gebaͤhren ſich ihre Glieder. Die
Natur hat alſo bei der Organiſation dieſes Geſchoͤpfs Le-
bensalter und Triebe nur weiter auseinander gelegt und laͤßt
ſich dieſelbe in eignen Uebergaͤngen organiſch bereiten —
dem Geſchoͤpf ſo unwillkuͤhrlich, als der Schlange wenn ſie
ſich haͤutet.
Das Gewebe der Spinne, was iſts anders als der
Spinne verlaͤngertes Selbſt, ihren Raub zu erhalten?
Wie der Polyp die Arme ausſtreckt, ihn zu faſſen: wie ſie
die Krallen bekam, ihn veſt zu halten; ſo erhielt ſie auch die
Warzen, zwiſchen welchen ſie das Geſpinnſt hervorzieht,
den Raub zu erjagen. Sie bekam dieſen Saft unge-
faͤhr zu ſo vielen Geſpinnſten, als auf ihr Leben hinreichen
und iſt ſie darin ungluͤcklich, ſo muß ſie entweder zu gewalt-
ſamen Mitteln Zuflucht nehmen oder ſterben. Der ihren
ganzen Koͤrper und alle demſelben einwohnende Kraͤfte orga-
niſirte, bildete ſie alſo zu dieſem Gewebe organiſch.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/161>, abgerufen am 16.02.2025.
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