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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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Auch das Wort Fertigkeit müssen wir uns also nicht
irre machen lassen, wenn wir diese organische Kunst bei man-
chen Geschöpfen sogleich nach ihrer Geburt bemerken. Un-
sre Fertigkeit entstehet aus Uebungen: die ihrige nicht. Jst
ihre Organisation ausgebildet: so sind auch die Kräfte der-
selben in vollem Spiel. Wer hat die größeste Fertigkeit
auf der Welt? der fallende Stein, die blühende Blume: er
fällt, sie blühet ihrer Natur nach. Der Krystall schießt
fertiger und regelmäßiger zusammen, als die Biene bauet
und als die Spinne webet. Jn jenem ist es nur noch orga-
nischer blinder Trieb, der nie fehlen kann; in diesen ist er
schon zum Gebrauch mehrerer Werkzeuge und Glieder hin-
auf organisiret und diese können fehlen. Das gesunde, mäch-
tige Zusammenstimmen derselben zu Einem Zweck macht
Fertigkeit, sobald das ausgebildete Geschöpf da ist.

Wir sehen also auch, warum, je höher die Geschöpfe
steigen, der unaufhaltbare Trieb so wie die Jrrthumfreie
Fertigkeit abnehme? Je mehr nämlich das Eine organische
Principium der Natur, das wir jetzt bildend, jetzt treibend,
jetzt empfindend, jetzt künstlichbauend nennen, und im
Grunde nur Eine und dieselbe organische Kraft ist, in mehr
Werkzeuge und verschiedenartige Glieder vertheilt ist: je mehr
es in jedem derselben eine eigne Welt hat, also auch eignen

Hin-
S 3

Auch das Wort Fertigkeit muͤſſen wir uns alſo nicht
irre machen laſſen, wenn wir dieſe organiſche Kunſt bei man-
chen Geſchoͤpfen ſogleich nach ihrer Geburt bemerken. Un-
ſre Fertigkeit entſtehet aus Uebungen: die ihrige nicht. Jſt
ihre Organiſation ausgebildet: ſo ſind auch die Kraͤfte der-
ſelben in vollem Spiel. Wer hat die groͤßeſte Fertigkeit
auf der Welt? der fallende Stein, die bluͤhende Blume: er
faͤllt, ſie bluͤhet ihrer Natur nach. Der Kryſtall ſchießt
fertiger und regelmaͤßiger zuſammen, als die Biene bauet
und als die Spinne webet. Jn jenem iſt es nur noch orga-
niſcher blinder Trieb, der nie fehlen kann; in dieſen iſt er
ſchon zum Gebrauch mehrerer Werkzeuge und Glieder hin-
auf organiſiret und dieſe koͤnnen fehlen. Das geſunde, maͤch-
tige Zuſammenſtimmen derſelben zu Einem Zweck macht
Fertigkeit, ſobald das ausgebildete Geſchoͤpf da iſt.

Wir ſehen alſo auch, warum, je hoͤher die Geſchoͤpfe
ſteigen, der unaufhaltbare Trieb ſo wie die Jrrthumfreie
Fertigkeit abnehme? Je mehr naͤmlich das Eine organiſche
Principium der Natur, das wir jetzt bildend, jetzt treibend,
jetzt empfindend, jetzt kuͤnſtlichbauend nennen, und im
Grunde nur Eine und dieſelbe organiſche Kraft iſt, in mehr
Werkzeuge und verſchiedenartige Glieder vertheilt iſt: je mehr
es in jedem derſelben eine eigne Welt hat, alſo auch eignen

Hin-
S 3
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[141/0163] Auch das Wort Fertigkeit muͤſſen wir uns alſo nicht irre machen laſſen, wenn wir dieſe organiſche Kunſt bei man- chen Geſchoͤpfen ſogleich nach ihrer Geburt bemerken. Un- ſre Fertigkeit entſtehet aus Uebungen: die ihrige nicht. Jſt ihre Organiſation ausgebildet: ſo ſind auch die Kraͤfte der- ſelben in vollem Spiel. Wer hat die groͤßeſte Fertigkeit auf der Welt? der fallende Stein, die bluͤhende Blume: er faͤllt, ſie bluͤhet ihrer Natur nach. Der Kryſtall ſchießt fertiger und regelmaͤßiger zuſammen, als die Biene bauet und als die Spinne webet. Jn jenem iſt es nur noch orga- niſcher blinder Trieb, der nie fehlen kann; in dieſen iſt er ſchon zum Gebrauch mehrerer Werkzeuge und Glieder hin- auf organiſiret und dieſe koͤnnen fehlen. Das geſunde, maͤch- tige Zuſammenſtimmen derſelben zu Einem Zweck macht Fertigkeit, ſobald das ausgebildete Geſchoͤpf da iſt. Wir ſehen alſo auch, warum, je hoͤher die Geſchoͤpfe ſteigen, der unaufhaltbare Trieb ſo wie die Jrrthumfreie Fertigkeit abnehme? Je mehr naͤmlich das Eine organiſche Principium der Natur, das wir jetzt bildend, jetzt treibend, jetzt empfindend, jetzt kuͤnſtlichbauend nennen, und im Grunde nur Eine und dieſelbe organiſche Kraft iſt, in mehr Werkzeuge und verſchiedenartige Glieder vertheilt iſt: je mehr es in jedem derſelben eine eigne Welt hat, alſo auch eignen Hin- S 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/163>, abgerufen am 21.11.2024.