Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Triebe, desto vollendeter wirken sie. Ueberall also liegen
Vorbilder der menschlichen Handlungsweisen in denen das
Thier geübt wird: und sie, da wir ihr Nervengebäude, ih-
ren uns ähnlichen Bau, ihre uns ähnlichen Bedürfnisse und
Lebensarten vor uns sehen, sie dennoch als Maschinen be-
trachten zu wollen, ist eine Sünde wider die Natur, wie ir-
gend Eine.

Es ist daher auch nicht zu verwundern, daß je Men-
schenähnlicher ein Geschlecht wird, desto mehr seine mecha-
nische Kunst abnehme: denn offenbar stehet ein solches schon
in einem vorübenden Kreise menschlicher Gedanken. Der
Biber, der noch eine Wasserratte ist, bauet künstlich. Der
Fuchs, der Hamster und ähnliche Thiere haben ihre un-
terirdische Kunstwerkstäte; der Hund, das Pferd, das Ka-
meel, der Elephant bedürfen dieser kleinen Künste nicht
mehr: sie haben Menschenähnliche Gedanken, sie üben sich,
von der bildenden Natur gezwungen, in Menschenähnlichen
Trieben.


VI.

Triebe, deſto vollendeter wirken ſie. Ueberall alſo liegen
Vorbilder der menſchlichen Handlungsweiſen in denen das
Thier geuͤbt wird: und ſie, da wir ihr Nervengebaͤude, ih-
ren uns aͤhnlichen Bau, ihre uns aͤhnlichen Beduͤrfniſſe und
Lebensarten vor uns ſehen, ſie dennoch als Maſchinen be-
trachten zu wollen, iſt eine Suͤnde wider die Natur, wie ir-
gend Eine.

Es iſt daher auch nicht zu verwundern, daß je Men-
ſchenaͤhnlicher ein Geſchlecht wird, deſto mehr ſeine mecha-
niſche Kunſt abnehme: denn offenbar ſtehet ein ſolches ſchon
in einem voruͤbenden Kreiſe menſchlicher Gedanken. Der
Biber, der noch eine Waſſerratte iſt, bauet kuͤnſtlich. Der
Fuchs, der Hamſter und aͤhnliche Thiere haben ihre un-
terirdiſche Kunſtwerkſtaͤte; der Hund, das Pferd, das Ka-
meel, der Elephant beduͤrfen dieſer kleinen Kuͤnſte nicht
mehr: ſie haben Menſchenaͤhnliche Gedanken, ſie uͤben ſich,
von der bildenden Natur gezwungen, in Menſchenaͤhnlichen
Trieben.


VI.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="171[151]"/>
Triebe, de&#x017F;to vollendeter wirken &#x017F;ie. Ueberall al&#x017F;o liegen<lb/>
Vorbilder der men&#x017F;chlichen Handlungswei&#x017F;en in denen das<lb/>
Thier geu&#x0364;bt wird: und &#x017F;ie, da wir ihr Nervengeba&#x0364;ude, ih-<lb/>
ren uns a&#x0364;hnlichen Bau, ihre uns a&#x0364;hnlichen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
Lebensarten vor uns &#x017F;ehen, &#x017F;ie dennoch als Ma&#x017F;chinen be-<lb/>
trachten zu wollen, i&#x017F;t eine Su&#x0364;nde wider die Natur, wie ir-<lb/>
gend Eine.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t daher auch nicht zu verwundern, daß je Men-<lb/>
&#x017F;chena&#x0364;hnlicher ein Ge&#x017F;chlecht wird, de&#x017F;to mehr &#x017F;eine mecha-<lb/>
ni&#x017F;che Kun&#x017F;t abnehme: denn offenbar &#x017F;tehet ein &#x017F;olches &#x017F;chon<lb/>
in einem voru&#x0364;benden Krei&#x017F;e men&#x017F;chlicher Gedanken. Der<lb/>
Biber, der noch eine Wa&#x017F;&#x017F;erratte i&#x017F;t, bauet ku&#x0364;n&#x017F;tlich. Der<lb/>
Fuchs, der Ham&#x017F;ter und a&#x0364;hnliche Thiere haben ihre un-<lb/>
terirdi&#x017F;che Kun&#x017F;twerk&#x017F;ta&#x0364;te; der Hund, das Pferd, das Ka-<lb/>
meel, der Elephant bedu&#x0364;rfen die&#x017F;er kleinen Ku&#x0364;n&#x017F;te nicht<lb/>
mehr: &#x017F;ie haben Men&#x017F;chena&#x0364;hnliche Gedanken, &#x017F;ie u&#x0364;ben &#x017F;ich,<lb/>
von der bildenden Natur gezwungen, in Men&#x017F;chena&#x0364;hnlichen<lb/>
Trieben.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">VI.</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171[151]/0173] Triebe, deſto vollendeter wirken ſie. Ueberall alſo liegen Vorbilder der menſchlichen Handlungsweiſen in denen das Thier geuͤbt wird: und ſie, da wir ihr Nervengebaͤude, ih- ren uns aͤhnlichen Bau, ihre uns aͤhnlichen Beduͤrfniſſe und Lebensarten vor uns ſehen, ſie dennoch als Maſchinen be- trachten zu wollen, iſt eine Suͤnde wider die Natur, wie ir- gend Eine. Es iſt daher auch nicht zu verwundern, daß je Men- ſchenaͤhnlicher ein Geſchlecht wird, deſto mehr ſeine mecha- niſche Kunſt abnehme: denn offenbar ſtehet ein ſolches ſchon in einem voruͤbenden Kreiſe menſchlicher Gedanken. Der Biber, der noch eine Waſſerratte iſt, bauet kuͤnſtlich. Der Fuchs, der Hamſter und aͤhnliche Thiere haben ihre un- terirdiſche Kunſtwerkſtaͤte; der Hund, das Pferd, das Ka- meel, der Elephant beduͤrfen dieſer kleinen Kuͤnſte nicht mehr: ſie haben Menſchenaͤhnliche Gedanken, ſie uͤben ſich, von der bildenden Natur gezwungen, in Menſchenaͤhnlichen Trieben. VI.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/173
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 171[151]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/173>, abgerufen am 24.11.2024.