Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

dieselbe Analogie im Verhältniß ihres Haupts zu dem ge-
samten Gliederbau herrschen und sie herrscht auf die augen-
scheinlichste Weise. Wie die Pflanze darauf arbeitet, das
Kunstwerk der Blume, als des Geschöpfs Krone, hervorzu-
treiben: so arbeitet der ganze Gliederbau in den lebendigen
Geschöpfen, um das Haupt als seine Krone zu nähren.
Man sollte sagen, daß der Reihe der Geschöpfe nach die Na-
tur allen ihren Organismus anwende, immer mehr und ein
feineres Gehirn zu bereiten, mithin dem Geschöpf einen frei-
ern Mittelpunkt von Empfindungen und Gedanken zu sam-
meln. Je weiter sie hinaufrückt, desto mehr treibt sie ihr
Werk: so viel sie nämlich thun kann, ohne das Haupt des
Geschöpfs zu beschweren und seine sinnlichen Lebensverrich-
tungen zu stören. Lasset uns einige Glieder dieser hinauf-
steigenden organischen Empfindungskette, auch in der äus-
sern Form und Richtung ihres Haupts
, bemerken.

1. Jn Thieren, wo das Haupt mit dem Körper noch
horizontal liegt, findet die wenigste Ausarbeitung des Ge-
hirns statt; die Natur hat ihre Reize und Triebe tiefer um-
her verbreitet. Würmer und Pflanzenthiere, Jnsekten, Fi-
sche, Amphibien sind dergleichen. Jn den untersten Glie-
dern der organischen Kette ist kaum noch ein Haupt sichtbar:
in andern kommts wie ein Auge hervor. Klein ists in den

Jn-
A a 3

dieſelbe Analogie im Verhaͤltniß ihres Haupts zu dem ge-
ſamten Gliederbau herrſchen und ſie herrſcht auf die augen-
ſcheinlichſte Weiſe. Wie die Pflanze darauf arbeitet, das
Kunſtwerk der Blume, als des Geſchoͤpfs Krone, hervorzu-
treiben: ſo arbeitet der ganze Gliederbau in den lebendigen
Geſchoͤpfen, um das Haupt als ſeine Krone zu naͤhren.
Man ſollte ſagen, daß der Reihe der Geſchoͤpfe nach die Na-
tur allen ihren Organiſmus anwende, immer mehr und ein
feineres Gehirn zu bereiten, mithin dem Geſchoͤpf einen frei-
ern Mittelpunkt von Empfindungen und Gedanken zu ſam-
meln. Je weiter ſie hinaufruͤckt, deſto mehr treibt ſie ihr
Werk: ſo viel ſie naͤmlich thun kann, ohne das Haupt des
Geſchoͤpfs zu beſchweren und ſeine ſinnlichen Lebensverrich-
tungen zu ſtoͤren. Laſſet uns einige Glieder dieſer hinauf-
ſteigenden organiſchen Empfindungskette, auch in der aͤuſ-
ſern Form und Richtung ihres Haupts
, bemerken.

1. Jn Thieren, wo das Haupt mit dem Koͤrper noch
horizontal liegt, findet die wenigſte Ausarbeitung des Ge-
hirns ſtatt; die Natur hat ihre Reize und Triebe tiefer um-
her verbreitet. Wuͤrmer und Pflanzenthiere, Jnſekten, Fi-
ſche, Amphibien ſind dergleichen. Jn den unterſten Glie-
dern der organiſchen Kette iſt kaum noch ein Haupt ſichtbar:
in andern kommts wie ein Auge hervor. Klein iſts in den

Jn-
A a 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0211" n="209[189]"/>
          <p>die&#x017F;elbe Analogie im Verha&#x0364;ltniß ihres Haupts zu dem ge-<lb/>
&#x017F;amten Gliederbau herr&#x017F;chen und &#x017F;ie herr&#x017F;cht auf die augen-<lb/>
&#x017F;cheinlich&#x017F;te Wei&#x017F;e. Wie die Pflanze darauf arbeitet, das<lb/>
Kun&#x017F;twerk der Blume, als des Ge&#x017F;cho&#x0364;pfs Krone, hervorzu-<lb/>
treiben: &#x017F;o arbeitet der ganze Gliederbau in den lebendigen<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen, um das Haupt als &#x017F;eine Krone zu na&#x0364;hren.<lb/>
Man &#x017F;ollte &#x017F;agen, daß der Reihe der Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe nach die Na-<lb/>
tur allen ihren Organi&#x017F;mus anwende, immer mehr und ein<lb/>
feineres Gehirn zu bereiten, mithin dem Ge&#x017F;cho&#x0364;pf einen frei-<lb/>
ern Mittelpunkt von Empfindungen und Gedanken zu &#x017F;am-<lb/>
meln. Je weiter &#x017F;ie hinaufru&#x0364;ckt, de&#x017F;to mehr treibt &#x017F;ie ihr<lb/>
Werk: &#x017F;o viel &#x017F;ie na&#x0364;mlich thun kann, ohne das Haupt des<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfs zu be&#x017F;chweren und &#x017F;eine &#x017F;innlichen Lebensverrich-<lb/>
tungen zu &#x017F;to&#x0364;ren. La&#x017F;&#x017F;et uns einige Glieder die&#x017F;er hinauf-<lb/>
&#x017F;teigenden organi&#x017F;chen Empfindungskette, auch in der <hi rendition="#fr">a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern Form und Richtung ihres Haupts</hi>, bemerken.</p><lb/>
          <p>1. Jn Thieren, wo das Haupt mit dem Ko&#x0364;rper noch<lb/>
horizontal liegt, findet die wenig&#x017F;te Ausarbeitung des Ge-<lb/>
hirns &#x017F;tatt; die Natur hat ihre Reize und Triebe tiefer um-<lb/>
her verbreitet. Wu&#x0364;rmer und Pflanzenthiere, Jn&#x017F;ekten, Fi-<lb/>
&#x017F;che, Amphibien &#x017F;ind dergleichen. Jn den unter&#x017F;ten Glie-<lb/>
dern der organi&#x017F;chen Kette i&#x017F;t kaum noch ein Haupt &#x017F;ichtbar:<lb/>
in andern kommts wie ein Auge hervor. Klein i&#x017F;ts in den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Jn-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209[189]/0211] dieſelbe Analogie im Verhaͤltniß ihres Haupts zu dem ge- ſamten Gliederbau herrſchen und ſie herrſcht auf die augen- ſcheinlichſte Weiſe. Wie die Pflanze darauf arbeitet, das Kunſtwerk der Blume, als des Geſchoͤpfs Krone, hervorzu- treiben: ſo arbeitet der ganze Gliederbau in den lebendigen Geſchoͤpfen, um das Haupt als ſeine Krone zu naͤhren. Man ſollte ſagen, daß der Reihe der Geſchoͤpfe nach die Na- tur allen ihren Organiſmus anwende, immer mehr und ein feineres Gehirn zu bereiten, mithin dem Geſchoͤpf einen frei- ern Mittelpunkt von Empfindungen und Gedanken zu ſam- meln. Je weiter ſie hinaufruͤckt, deſto mehr treibt ſie ihr Werk: ſo viel ſie naͤmlich thun kann, ohne das Haupt des Geſchoͤpfs zu beſchweren und ſeine ſinnlichen Lebensverrich- tungen zu ſtoͤren. Laſſet uns einige Glieder dieſer hinauf- ſteigenden organiſchen Empfindungskette, auch in der aͤuſ- ſern Form und Richtung ihres Haupts, bemerken. 1. Jn Thieren, wo das Haupt mit dem Koͤrper noch horizontal liegt, findet die wenigſte Ausarbeitung des Ge- hirns ſtatt; die Natur hat ihre Reize und Triebe tiefer um- her verbreitet. Wuͤrmer und Pflanzenthiere, Jnſekten, Fi- ſche, Amphibien ſind dergleichen. Jn den unterſten Glie- dern der organiſchen Kette iſt kaum noch ein Haupt ſichtbar: in andern kommts wie ein Auge hervor. Klein iſts in den Jn- A a 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/211
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 209[189]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/211>, abgerufen am 21.11.2024.