VI. Zur Humanität und Religion ist der Mensch gebildet.
Jch wünschte, daß ich in das Wort Humanität alles fassen könnte, was ich bisher über des Menschen edle Bildung zur Vernunft und Freiheit, zu feinern Sinnen und Trieben, zur zartesten und stärksten Gesundheit, zur Erfüllung und Be- herrschung der Erde gesagt habe: denn der Mensch hat kein edleres Wort für seine Bestimmung als Er selbst ist, in dem das Bild des Schöpfers unsrer Erde, wie es hier sichtbar werden konnte, abgedruckt lebet. Um seine edelsten Pflich- ten zu entwickeln, dörfen wir nur seine Gestalt zeichnen.
Alle Triebe eines lebendigen Wesens lassen sich auf die Erhaltung sein selbst und auf eine Theilnehmung oder Mittheilung an andre zurückführen; das organische Ge- bäude des Menschen gibt, wenn eine höhere Leitung dazu kommt, diesen Neigungen die erlesenste Ordnung. Wie die gerade Linie die vesteste ist: so hat auch der Mensch zur Be- schützung seiner von außen den kleinsten Umfang, von innen
die
VI. Zur Humanitaͤt und Religion iſt der Menſch gebildet.
Jch wuͤnſchte, daß ich in das Wort Humanitaͤt alles faſſen koͤnnte, was ich bisher uͤber des Menſchen edle Bildung zur Vernunft und Freiheit, zu feinern Sinnen und Trieben, zur zarteſten und ſtaͤrkſten Geſundheit, zur Erfuͤllung und Be- herrſchung der Erde geſagt habe: denn der Menſch hat kein edleres Wort fuͤr ſeine Beſtimmung als Er ſelbſt iſt, in dem das Bild des Schoͤpfers unſrer Erde, wie es hier ſichtbar werden konnte, abgedruckt lebet. Um ſeine edelſten Pflich- ten zu entwickeln, doͤrfen wir nur ſeine Geſtalt zeichnen.
Alle Triebe eines lebendigen Weſens laſſen ſich auf die Erhaltung ſein ſelbſt und auf eine Theilnehmung oder Mittheilung an andre zuruͤckfuͤhren; das organiſche Ge- baͤude des Menſchen gibt, wenn eine hoͤhere Leitung dazu kommt, dieſen Neigungen die erleſenſte Ordnung. Wie die gerade Linie die veſteſte iſt: ſo hat auch der Menſch zur Be- ſchuͤtzung ſeiner von außen den kleinſten Umfang, von innen
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[244[224]/0246]
VI.
Zur Humanitaͤt und Religion iſt der Menſch
gebildet.
Jch wuͤnſchte, daß ich in das Wort Humanitaͤt alles faſſen
koͤnnte, was ich bisher uͤber des Menſchen edle Bildung
zur Vernunft und Freiheit, zu feinern Sinnen und Trieben,
zur zarteſten und ſtaͤrkſten Geſundheit, zur Erfuͤllung und Be-
herrſchung der Erde geſagt habe: denn der Menſch hat kein
edleres Wort fuͤr ſeine Beſtimmung als Er ſelbſt iſt, in dem
das Bild des Schoͤpfers unſrer Erde, wie es hier ſichtbar
werden konnte, abgedruckt lebet. Um ſeine edelſten Pflich-
ten zu entwickeln, doͤrfen wir nur ſeine Geſtalt zeichnen.
Alle Triebe eines lebendigen Weſens laſſen ſich auf die
Erhaltung ſein ſelbſt und auf eine Theilnehmung oder
Mittheilung an andre zuruͤckfuͤhren; das organiſche Ge-
baͤude des Menſchen gibt, wenn eine hoͤhere Leitung dazu
kommt, dieſen Neigungen die erleſenſte Ordnung. Wie die
gerade Linie die veſteſte iſt: ſo hat auch der Menſch zur Be-
ſchuͤtzung ſeiner von außen den kleinſten Umfang, von innen
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 244[224]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/246>, abgerufen am 24.11.2024.
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