einen Begrif. Jst es Widerspruch, daß Etwas Nichts sei oder werde: so ist es noch mehr Widerspruch, daß ein leben- diges, wirkendes Etwas, in dem der Schöpfer selbst gegen- wärtig ist, in dem sich seine Gotteskraft einwohnend offen- baret, sich in ein Nichts verkehre. Das Werkzeug kann durch äusserliche Umstände zerrüttet werden; so wenig aber auch in diesem sich nur ein Atom vernichtet oder verlieret, um so weniger die unsichtbare Kraft, die auch in diesem Atom wirket. Da wir nun bei allen Organisationen wahrnehmen, daß ihre wirkenden Kräfte so weise gewählt, so künstlich ge- ordnet, so genau auf ihre gemeinschaftliche Dauer und auf die Ausbildung der Hauptkraft berechnet sei: so wäre es Un- sinn, von der Natur zu glauben, daß in dem Augenblick, da eine Combination derselben, d. i. ein äußerlicher Zustand auf- hört, sie nicht nur plötzlich von der Weisheit und Sorgfalt abliesse, dadurch sie allein göttliche Natur ist: sondern die- selbe auch gegen sich kehrte, um mit ihrer ganzen Allmacht (denn minder gehörte dazu nicht) nur einen Theil ihres le- bendigen Zusammenhanges, in dem sie selbst ewig-thätig lebet, zu vernichten. Was der Allbelebende ins Leben rief, lebet: was wirkt, wirkt in seinem ewigen Zusammenhange ewig.
Da diese Principien weiter auseinander zu setzen, hier nicht der Ort ist: so lasset uns sie blos in Beispielen zeigen.
Die
einen Begrif. Jſt es Widerſpruch, daß Etwas Nichts ſei oder werde: ſo iſt es noch mehr Widerſpruch, daß ein leben- diges, wirkendes Etwas, in dem der Schoͤpfer ſelbſt gegen- waͤrtig iſt, in dem ſich ſeine Gotteskraft einwohnend offen- baret, ſich in ein Nichts verkehre. Das Werkzeug kann durch aͤuſſerliche Umſtaͤnde zerruͤttet werden; ſo wenig aber auch in dieſem ſich nur ein Atom vernichtet oder verlieret, um ſo weniger die unſichtbare Kraft, die auch in dieſem Atom wirket. Da wir nun bei allen Organiſationen wahrnehmen, daß ihre wirkenden Kraͤfte ſo weiſe gewaͤhlt, ſo kuͤnſtlich ge- ordnet, ſo genau auf ihre gemeinſchaftliche Dauer und auf die Ausbildung der Hauptkraft berechnet ſei: ſo waͤre es Un- ſinn, von der Natur zu glauben, daß in dem Augenblick, da eine Combination derſelben, d. i. ein aͤußerlicher Zuſtand auf- hoͤrt, ſie nicht nur ploͤtzlich von der Weisheit und Sorgfalt ablieſſe, dadurch ſie allein goͤttliche Natur iſt: ſondern die- ſelbe auch gegen ſich kehrte, um mit ihrer ganzen Allmacht (denn minder gehoͤrte dazu nicht) nur einen Theil ihres le- bendigen Zuſammenhanges, in dem ſie ſelbſt ewig-thaͤtig lebet, zu vernichten. Was der Allbelebende ins Leben rief, lebet: was wirkt, wirkt in ſeinem ewigen Zuſammenhange ewig.
Da dieſe Principien weiter auseinander zu ſetzen, hier nicht der Ort iſt: ſo laſſet uns ſie blos in Beiſpielen zeigen.
Die
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[270[250]/0272]
einen Begrif. Jſt es Widerſpruch, daß Etwas Nichts ſei
oder werde: ſo iſt es noch mehr Widerſpruch, daß ein leben-
diges, wirkendes Etwas, in dem der Schoͤpfer ſelbſt gegen-
waͤrtig iſt, in dem ſich ſeine Gotteskraft einwohnend offen-
baret, ſich in ein Nichts verkehre. Das Werkzeug kann
durch aͤuſſerliche Umſtaͤnde zerruͤttet werden; ſo wenig aber
auch in dieſem ſich nur ein Atom vernichtet oder verlieret,
um ſo weniger die unſichtbare Kraft, die auch in dieſem Atom
wirket. Da wir nun bei allen Organiſationen wahrnehmen,
daß ihre wirkenden Kraͤfte ſo weiſe gewaͤhlt, ſo kuͤnſtlich ge-
ordnet, ſo genau auf ihre gemeinſchaftliche Dauer und auf
die Ausbildung der Hauptkraft berechnet ſei: ſo waͤre es Un-
ſinn, von der Natur zu glauben, daß in dem Augenblick, da
eine Combination derſelben, d. i. ein aͤußerlicher Zuſtand auf-
hoͤrt, ſie nicht nur ploͤtzlich von der Weisheit und Sorgfalt
ablieſſe, dadurch ſie allein goͤttliche Natur iſt: ſondern die-
ſelbe auch gegen ſich kehrte, um mit ihrer ganzen Allmacht
(denn minder gehoͤrte dazu nicht) nur einen Theil ihres le-
bendigen Zuſammenhanges, in dem ſie ſelbſt ewig-thaͤtig
lebet, zu vernichten. Was der Allbelebende ins Leben rief,
lebet: was wirkt, wirkt in ſeinem ewigen Zuſammenhange
ewig.
Da dieſe Principien weiter auseinander zu ſetzen, hier
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 270[250]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/272>, abgerufen am 26.11.2024.
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