Die Blume, die ausgeblühet hat, zerfällt; d. i. dies Werk- zeug ist nicht weiter geschickt, daß die vegetirende Kraft in ihm fortwirke: der Baum, der sich satt an Früchten getra- gen, stirbt; die Maschine ist hinfällig worden und das Zu- sammengesetzte geht auseinander. Hieraus folget aber im mindesten nicht, daß die Kraft, die diese Theile belebte, die ve- getiren und sich so mächtig fortpflanzen konnte, mit dieser De- composition gestorben sei; sie, die über tausend Kräfte, die sie anzog, in dieser Organisation herrschte. Jedem Atom der zerlegten Maschine bleibt ja seine untere Kraft; wie viel mehr muß sie der mächtigern bleiben, die in dieser Formung jene alle zu Einem Zweck regierte und in ihren engen Grenzen mit allmächtigen Natureigenschaften wirkte. Der Faden der Gedanken zerreißt, wenn man es sich als natürlich denket, daß dies Geschöpf jetzt in jedem seiner Glieder die mächtige, sich selbst erstattende, reizbare Selbstthätigkeit haben soll, wie sie sich uns vor Augen äußert; daß aber den Augenblick dar- auf alle diese Kräfte, die lebendigen Erweise einer inwohnen- den organischen Allmacht, aus dem Zusammenhange der We- sen, aus dem Reich der Realität so hinweg seyn sollen, als wären sie nie darinnen gewesen.
Und bei der reinsten und thätigsten Kraft, die wir auf Erden kennen, sollte dieser Gedankenwiderspruch statt finden,
bei
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Die Blume, die ausgebluͤhet hat, zerfaͤllt; d. i. dies Werk- zeug iſt nicht weiter geſchickt, daß die vegetirende Kraft in ihm fortwirke: der Baum, der ſich ſatt an Fruͤchten getra- gen, ſtirbt; die Maſchine iſt hinfaͤllig worden und das Zu- ſammengeſetzte geht auseinander. Hieraus folget aber im mindeſten nicht, daß die Kraft, die dieſe Theile belebte, die ve- getiren und ſich ſo maͤchtig fortpflanzen konnte, mit dieſer De- compoſition geſtorben ſei; ſie, die uͤber tauſend Kraͤfte, die ſie anzog, in dieſer Organiſation herrſchte. Jedem Atom der zerlegten Maſchine bleibt ja ſeine untere Kraft; wie viel mehr muß ſie der maͤchtigern bleiben, die in dieſer Formung jene alle zu Einem Zweck regierte und in ihren engen Grenzen mit allmaͤchtigen Natureigenſchaften wirkte. Der Faden der Gedanken zerreißt, wenn man es ſich als natuͤrlich denket, daß dies Geſchoͤpf jetzt in jedem ſeiner Glieder die maͤchtige, ſich ſelbſt erſtattende, reizbare Selbſtthaͤtigkeit haben ſoll, wie ſie ſich uns vor Augen aͤußert; daß aber den Augenblick dar- auf alle dieſe Kraͤfte, die lebendigen Erweiſe einer inwohnen- den organiſchen Allmacht, aus dem Zuſammenhange der We- ſen, aus dem Reich der Realitaͤt ſo hinweg ſeyn ſollen, als waͤren ſie nie darinnen geweſen.
Und bei der reinſten und thaͤtigſten Kraft, die wir auf Erden kennen, ſollte dieſer Gedankenwiderſpruch ſtatt finden,
bei
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[271[251]/0273]
Die Blume, die ausgebluͤhet hat, zerfaͤllt; d. i. dies Werk-
zeug iſt nicht weiter geſchickt, daß die vegetirende Kraft in
ihm fortwirke: der Baum, der ſich ſatt an Fruͤchten getra-
gen, ſtirbt; die Maſchine iſt hinfaͤllig worden und das Zu-
ſammengeſetzte geht auseinander. Hieraus folget aber im
mindeſten nicht, daß die Kraft, die dieſe Theile belebte, die ve-
getiren und ſich ſo maͤchtig fortpflanzen konnte, mit dieſer De-
compoſition geſtorben ſei; ſie, die uͤber tauſend Kraͤfte, die ſie
anzog, in dieſer Organiſation herrſchte. Jedem Atom der
zerlegten Maſchine bleibt ja ſeine untere Kraft; wie viel mehr
muß ſie der maͤchtigern bleiben, die in dieſer Formung jene
alle zu Einem Zweck regierte und in ihren engen Grenzen mit
allmaͤchtigen Natureigenſchaften wirkte. Der Faden der
Gedanken zerreißt, wenn man es ſich als natuͤrlich denket,
daß dies Geſchoͤpf jetzt in jedem ſeiner Glieder die maͤchtige,
ſich ſelbſt erſtattende, reizbare Selbſtthaͤtigkeit haben ſoll, wie
ſie ſich uns vor Augen aͤußert; daß aber den Augenblick dar-
auf alle dieſe Kraͤfte, die lebendigen Erweiſe einer inwohnen-
den organiſchen Allmacht, aus dem Zuſammenhange der We-
ſen, aus dem Reich der Realitaͤt ſo hinweg ſeyn ſollen, als
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 271[251]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/273>, abgerufen am 26.11.2024.
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