schränkte und zurückstiesse, stillstehen oder zurückgehen könne, ist nicht begreiflich. Sie wirkte als ein Organ der göttlichen Macht, als eine thätig gewordne Jdee seines ewigdaurenden Entwurfs der Schöpfung; und so mußten sich wirkend ihre Kräfte mehren. Auch alle Abweichungen müssen sie wieder zur rechten Bahn lenken; da die oberste Güte Mittel gnug hat, die zurückprallende Kugel, ehe sie sinkt, durch einen neuen Anstoß, durch eine neue Erweckung wieder zum Ziel zu führen. Doch die Metaphysik bleibe bei Seite; wir wol- len Analogien der Natur betrachten.
Nichts in ihr steht still: alles strebt und rückt weiter. Könnten wir die erste Periode der Schöpfung durchsehn, wie Ein Reich der Natur auf das andre gebauet ward: welche Progreßion fortstrebender Kräfte würde sich in jeder Entwick- lung zeigen! Warum tragen wir und alle Thiere Kalkerde in unsern Gebeinen? weil sie einer der letzten Uebergänge gröberer Erdbildungen war, der seiner innern Gestaltung nach schon einer lebendigen Organisation zum Knochengebäude dienen konnte. So ists mit allen übrigen Bestandtheilen unsres Körpers.
Als die Thore der Schöpfung geschlossen wurden, stan- den die einmal erwählten Organisationen als bestimmte We-
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ſchraͤnkte und zuruͤckſtieſſe, ſtillſtehen oder zuruͤckgehen koͤnne, iſt nicht begreiflich. Sie wirkte als ein Organ der goͤttlichen Macht, als eine thaͤtig gewordne Jdee ſeines ewigdaurenden Entwurfs der Schoͤpfung; und ſo mußten ſich wirkend ihre Kraͤfte mehren. Auch alle Abweichungen muͤſſen ſie wieder zur rechten Bahn lenken; da die oberſte Guͤte Mittel gnug hat, die zuruͤckprallende Kugel, ehe ſie ſinkt, durch einen neuen Anſtoß, durch eine neue Erweckung wieder zum Ziel zu fuͤhren. Doch die Metaphyſik bleibe bei Seite; wir wol- len Analogien der Natur betrachten.
Nichts in ihr ſteht ſtill: alles ſtrebt und ruͤckt weiter. Koͤnnten wir die erſte Periode der Schoͤpfung durchſehn, wie Ein Reich der Natur auf das andre gebauet ward: welche Progreßion fortſtrebender Kraͤfte wuͤrde ſich in jeder Entwick- lung zeigen! Warum tragen wir und alle Thiere Kalkerde in unſern Gebeinen? weil ſie einer der letzten Uebergaͤnge groͤberer Erdbildungen war, der ſeiner innern Geſtaltung nach ſchon einer lebendigen Organiſation zum Knochengebaͤude dienen konnte. So iſts mit allen uͤbrigen Beſtandtheilen unſres Koͤrpers.
Als die Thore der Schoͤpfung geſchloſſen wurden, ſtan- den die einmal erwaͤhlten Organiſationen als beſtimmte We-
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[281[261]/0283]
ſchraͤnkte und zuruͤckſtieſſe, ſtillſtehen oder zuruͤckgehen koͤnne,
iſt nicht begreiflich. Sie wirkte als ein Organ der goͤttlichen
Macht, als eine thaͤtig gewordne Jdee ſeines ewigdaurenden
Entwurfs der Schoͤpfung; und ſo mußten ſich wirkend ihre
Kraͤfte mehren. Auch alle Abweichungen muͤſſen ſie wieder
zur rechten Bahn lenken; da die oberſte Guͤte Mittel gnug
hat, die zuruͤckprallende Kugel, ehe ſie ſinkt, durch einen
neuen Anſtoß, durch eine neue Erweckung wieder zum Ziel
zu fuͤhren. Doch die Metaphyſik bleibe bei Seite; wir wol-
len Analogien der Natur betrachten.
Nichts in ihr ſteht ſtill: alles ſtrebt und ruͤckt weiter.
Koͤnnten wir die erſte Periode der Schoͤpfung durchſehn, wie
Ein Reich der Natur auf das andre gebauet ward: welche
Progreßion fortſtrebender Kraͤfte wuͤrde ſich in jeder Entwick-
lung zeigen! Warum tragen wir und alle Thiere Kalkerde
in unſern Gebeinen? weil ſie einer der letzten Uebergaͤnge
groͤberer Erdbildungen war, der ſeiner innern Geſtaltung
nach ſchon einer lebendigen Organiſation zum Knochengebaͤude
dienen konnte. So iſts mit allen uͤbrigen Beſtandtheilen
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 281[261]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/283>, abgerufen am 10.05.2024.
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