schaffenes Wesen. Sie ruft aus dem Chaos der Dinge, die sie umgeben, eine Gestalt hervor, an die sie sich mit Auf- merksamkeit heftet und so schaft sie durch innere Macht aus dem Vielen ein Eins, das ihr allein zugehöret. Dies kann sie sich wieder herstellen, auch wenn es nicht mehr da ist: der Traum und die Dichtung können es nach ganz andern Gese- tzen verbinden als unter welchen es der Sinn darstellte und thun dies wirklich. Die Rasereien der Kranken, die man so oft als Zeugen der Materialität der Seele anführt, sind eben von ihrer Jmmaterialität Zeugen. Man behorche den Wahn- sinnigen und bemerke den Gang, den seine Seele nimmt. Er geht von der Jdee aus, die ihn zu tief rührte, die also sein Werkzeug zerrüttete und den Zusammenhang mit andern Sen- sationen störte. Auf sie beziehet er nun alles, weil sie die herrschende ist und er von derselben nicht loskann; zu ihr schaft er sich eine eigne Welt, einen eignen Zusammenhang der Gedanken und jeder seiner Jrrgänge in der Jdeenverbin- dung ist im höchsten Maas geistig. Nicht wie die Fächer des Gehirns liegen, combinirt er, selbst nicht einmal wie ihm die Sensationen erscheinen: sondern wie andre Jdeen mit seiner Jdee verwandt sind und wie er jene zu dieser nur hin- über zu zwingen vermochte. Auf demselben Wege gehn alle Associationen unsrer Gedanken: sie gehören einem Wesen zu, das aus eigner Energie und oft mit einer sonderbaren Jdio-
synkrasie
ſchaffenes Weſen. Sie ruft aus dem Chaos der Dinge, die ſie umgeben, eine Geſtalt hervor, an die ſie ſich mit Auf- merkſamkeit heftet und ſo ſchaft ſie durch innere Macht aus dem Vielen ein Eins, das ihr allein zugehoͤret. Dies kann ſie ſich wieder herſtellen, auch wenn es nicht mehr da iſt: der Traum und die Dichtung koͤnnen es nach ganz andern Geſe- tzen verbinden als unter welchen es der Sinn darſtellte und thun dies wirklich. Die Raſereien der Kranken, die man ſo oft als Zeugen der Materialitaͤt der Seele anfuͤhrt, ſind eben von ihrer Jmmaterialitaͤt Zeugen. Man behorche den Wahn- ſinnigen und bemerke den Gang, den ſeine Seele nimmt. Er geht von der Jdee aus, die ihn zu tief ruͤhrte, die alſo ſein Werkzeug zerruͤttete und den Zuſammenhang mit andern Sen- ſationen ſtoͤrte. Auf ſie beziehet er nun alles, weil ſie die herrſchende iſt und er von derſelben nicht loskann; zu ihr ſchaft er ſich eine eigne Welt, einen eignen Zuſammenhang der Gedanken und jeder ſeiner Jrrgaͤnge in der Jdeenverbin- dung iſt im hoͤchſten Maas geiſtig. Nicht wie die Faͤcher des Gehirns liegen, combinirt er, ſelbſt nicht einmal wie ihm die Senſationen erſcheinen: ſondern wie andre Jdeen mit ſeiner Jdee verwandt ſind und wie er jene zu dieſer nur hin- uͤber zu zwingen vermochte. Auf demſelben Wege gehn alle Aſſociationen unſrer Gedanken: ſie gehoͤren einem Weſen zu, das aus eigner Energie und oft mit einer ſonderbaren Jdio-
ſynkraſie
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ſchaffenes Weſen. Sie ruft aus dem Chaos der Dinge, die
ſie umgeben, eine Geſtalt hervor, an die ſie ſich mit Auf-
merkſamkeit heftet und ſo ſchaft ſie durch innere Macht aus
dem Vielen ein Eins, das ihr allein zugehoͤret. Dies kann
ſie ſich wieder herſtellen, auch wenn es nicht mehr da iſt: der
Traum und die Dichtung koͤnnen es nach ganz andern Geſe-
tzen verbinden als unter welchen es der Sinn darſtellte und
thun dies wirklich. Die Raſereien der Kranken, die man
ſo oft als Zeugen der Materialitaͤt der Seele anfuͤhrt, ſind eben
von ihrer Jmmaterialitaͤt Zeugen. Man behorche den Wahn-
ſinnigen und bemerke den Gang, den ſeine Seele nimmt. Er
geht von der Jdee aus, die ihn zu tief ruͤhrte, die alſo ſein
Werkzeug zerruͤttete und den Zuſammenhang mit andern Sen-
ſationen ſtoͤrte. Auf ſie beziehet er nun alles, weil ſie die
herrſchende iſt und er von derſelben nicht loskann; zu ihr
ſchaft er ſich eine eigne Welt, einen eignen Zuſammenhang
der Gedanken und jeder ſeiner Jrrgaͤnge in der Jdeenverbin-
dung iſt im hoͤchſten Maas geiſtig. Nicht wie die Faͤcher
des Gehirns liegen, combinirt er, ſelbſt nicht einmal wie ihm
die Senſationen erſcheinen: ſondern wie andre Jdeen mit
ſeiner Jdee verwandt ſind und wie er jene zu dieſer nur hin-
uͤber zu zwingen vermochte. Auf demſelben Wege gehn alle
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 290[270]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/292>, abgerufen am 28.11.2024.
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