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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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VI.
Der jetzige Zustand der Menschen ist wahrschein-
lich das verbindende Mittelglied
zweener Welten.



Alles ist in der Natur verbunden: ein Zustand strebt zum
andern und bereitet ihn vor. Wenn also der Mensch die
Kette der Erdorganisation als ihr höchstes und letztes Glied
schloß: so fängt er auch eben dadurch die Kette einer höhern
Gattung von Geschöpfen als ihr niedrigstes Glied an; und
so ist er wahrscheinlich der Mittelring zwischen zwei in einan-
der greifenden Systemen der Schöpfung. Auf der Erde
kann er in keine Organisation mehr übergehen oder er müßte
rückwärts und sich im Kreise umhertaumeln; stillstehen kann
er nicht, da keine lebendige Kraft im Reich der wirksamsten
Güte ruhet; also muß ihm eine Stufe bevorstehn, die so
dicht an ihm und doch über ihm so erhaben ist, als er, mit
dem edelsten Vorzuge geschmückt, ans Thier grenzet. Diese
Aussicht, die auf allen Gesetzen der Natur ruhet, giebt uns
allein den Schlüssel seiner wunderbaren Erscheinung, mithin
die einzige Philosophie der Menschengeschichte. Denn
nun wird


1. Der
VI.
Der jetzige Zuſtand der Menſchen iſt wahrſchein-
lich das verbindende Mittelglied
zweener Welten.



Alles iſt in der Natur verbunden: ein Zuſtand ſtrebt zum
andern und bereitet ihn vor. Wenn alſo der Menſch die
Kette der Erdorganiſation als ihr hoͤchſtes und letztes Glied
ſchloß: ſo faͤngt er auch eben dadurch die Kette einer hoͤhern
Gattung von Geſchoͤpfen als ihr niedrigſtes Glied an; und
ſo iſt er wahrſcheinlich der Mittelring zwiſchen zwei in einan-
der greifenden Syſtemen der Schoͤpfung. Auf der Erde
kann er in keine Organiſation mehr uͤbergehen oder er muͤßte
ruͤckwaͤrts und ſich im Kreiſe umhertaumeln; ſtillſtehen kann
er nicht, da keine lebendige Kraft im Reich der wirkſamſten
Guͤte ruhet; alſo muß ihm eine Stufe bevorſtehn, die ſo
dicht an ihm und doch uͤber ihm ſo erhaben iſt, als er, mit
dem edelſten Vorzuge geſchmuͤckt, ans Thier grenzet. Dieſe
Ausſicht, die auf allen Geſetzen der Natur ruhet, giebt uns
allein den Schluͤſſel ſeiner wunderbaren Erſcheinung, mithin
die einzige Philoſophie der Menſchengeſchichte. Denn
nun wird


1. Der
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[308[288]/0310] VI. Der jetzige Zuſtand der Menſchen iſt wahrſchein- lich das verbindende Mittelglied zweener Welten. Alles iſt in der Natur verbunden: ein Zuſtand ſtrebt zum andern und bereitet ihn vor. Wenn alſo der Menſch die Kette der Erdorganiſation als ihr hoͤchſtes und letztes Glied ſchloß: ſo faͤngt er auch eben dadurch die Kette einer hoͤhern Gattung von Geſchoͤpfen als ihr niedrigſtes Glied an; und ſo iſt er wahrſcheinlich der Mittelring zwiſchen zwei in einan- der greifenden Syſtemen der Schoͤpfung. Auf der Erde kann er in keine Organiſation mehr uͤbergehen oder er muͤßte ruͤckwaͤrts und ſich im Kreiſe umhertaumeln; ſtillſtehen kann er nicht, da keine lebendige Kraft im Reich der wirkſamſten Guͤte ruhet; alſo muß ihm eine Stufe bevorſtehn, die ſo dicht an ihm und doch uͤber ihm ſo erhaben iſt, als er, mit dem edelſten Vorzuge geſchmuͤckt, ans Thier grenzet. Dieſe Ausſicht, die auf allen Geſetzen der Natur ruhet, giebt uns allein den Schluͤſſel ſeiner wunderbaren Erſcheinung, mithin die einzige Philoſophie der Menſchengeſchichte. Denn nun wird 1. Der

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 308[288]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/310>, abgerufen am 27.04.2024.