sundheit und Jahrszeiten zu wirken scheine. Die Amerika- ner, sagt er, die bei Ankunft der Europäer ein Alter von hun- dert und mehrern Jahren zurückgelegt, erreichen jetzt oft kaum das halbe Alter ihrer Väter; woran nicht blos der Menschen- tödtende Branntwein und ihre veränderte Lebensweise, son- dern wahrscheinlich auch der Verlust so vieler wohlriechenden Kräuter und kräftigen Pflanzen Schuld sei, die jeden Morgen und Abend einen Geruch gaben, als ob man sich in einem Blumengarten fände. Der Winter sei damals zeitiger, käl- ter, gesunder und beständiger gewesen; jetzt treffe der Früh- ling später ein, und sei, wie die Jahrszeiten überhaupt, un- beständiger und abwechselnder. "So erzählt Kalm und wie local man die Nachricht einschränke, dörfte sie doch immer zeigen, daß die Natur selbst im besten Werk, das Menschen thun können, dem Anbau eines Landes, zu schnelle, zu ge- waltsame Uebergänge nicht liebe. Die Schwäche der soge- nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai, Brasilien; sollte sie nicht unter andern auch daher kommen, daß man ihnen Land und Lebensart verändert hat, ohne ihnen eine Europäische Natur geben zu können oder zu wollen? Alle Nationen, die in den Wäldern und nach der Weise ihrer Vä- ter leben, sind muthig und stark, sie werden alt und grünen wie ihre Bäume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten Schatten entzogen, schwinden sie traurig dahin: Seele und
Muth
ſundheit und Jahrszeiten zu wirken ſcheine. Die Amerika- ner, ſagt er, die bei Ankunft der Europaͤer ein Alter von hun- dert und mehrern Jahren zuruͤckgelegt, erreichen jetzt oft kaum das halbe Alter ihrer Vaͤter; woran nicht blos der Menſchen- toͤdtende Branntwein und ihre veraͤnderte Lebensweiſe, ſon- dern wahrſcheinlich auch der Verluſt ſo vieler wohlriechenden Kraͤuter und kraͤftigen Pflanzen Schuld ſei, die jeden Morgen und Abend einen Geruch gaben, als ob man ſich in einem Blumengarten faͤnde. Der Winter ſei damals zeitiger, kaͤl- ter, geſunder und beſtaͤndiger geweſen; jetzt treffe der Fruͤh- ling ſpaͤter ein, und ſei, wie die Jahrszeiten uͤberhaupt, un- beſtaͤndiger und abwechſelnder. ”So erzaͤhlt Kalm und wie local man die Nachricht einſchraͤnke, doͤrfte ſie doch immer zeigen, daß die Natur ſelbſt im beſten Werk, das Menſchen thun koͤnnen, dem Anbau eines Landes, zu ſchnelle, zu ge- waltſame Uebergaͤnge nicht liebe. Die Schwaͤche der ſoge- nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai, Braſilien; ſollte ſie nicht unter andern auch daher kommen, daß man ihnen Land und Lebensart veraͤndert hat, ohne ihnen eine Europaͤiſche Natur geben zu koͤnnen oder zu wollen? Alle Nationen, die in den Waͤldern und nach der Weiſe ihrer Vaͤ- ter leben, ſind muthig und ſtark, ſie werden alt und gruͤnen wie ihre Baͤume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten Schatten entzogen, ſchwinden ſie traurig dahin: Seele und
Muth
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0136"n="124"/>ſundheit und Jahrszeiten zu wirken ſcheine. Die Amerika-<lb/>
ner, ſagt er, die bei Ankunft der Europaͤer ein Alter von hun-<lb/>
dert und mehrern Jahren zuruͤckgelegt, erreichen jetzt oft kaum<lb/>
das halbe Alter ihrer Vaͤter; woran nicht blos der Menſchen-<lb/>
toͤdtende Branntwein und ihre veraͤnderte Lebensweiſe, ſon-<lb/>
dern wahrſcheinlich auch der Verluſt ſo vieler wohlriechenden<lb/>
Kraͤuter und kraͤftigen Pflanzen Schuld ſei, die jeden Morgen<lb/>
und Abend einen Geruch gaben, als ob man ſich in einem<lb/>
Blumengarten faͤnde. Der Winter ſei damals zeitiger, kaͤl-<lb/>
ter, geſunder und beſtaͤndiger geweſen; jetzt treffe der Fruͤh-<lb/>
ling ſpaͤter ein, und ſei, wie die Jahrszeiten uͤberhaupt, un-<lb/>
beſtaͤndiger und abwechſelnder. ”So erzaͤhlt <hirendition="#fr">Kalm</hi> und wie<lb/>
local man die Nachricht einſchraͤnke, doͤrfte ſie doch immer<lb/>
zeigen, daß die Natur ſelbſt im beſten Werk, das Menſchen<lb/>
thun koͤnnen, dem Anbau eines Landes, zu ſchnelle, zu ge-<lb/>
waltſame Uebergaͤnge nicht liebe. Die Schwaͤche der ſoge-<lb/>
nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai,<lb/>
Braſilien; ſollte ſie nicht unter andern auch daher kommen,<lb/>
daß man ihnen Land und Lebensart veraͤndert hat, ohne ihnen<lb/>
eine Europaͤiſche Natur geben zu koͤnnen oder zu wollen? Alle<lb/>
Nationen, die in den Waͤldern und nach der Weiſe ihrer Vaͤ-<lb/>
ter leben, ſind muthig und ſtark, ſie werden alt und gruͤnen<lb/>
wie ihre Baͤume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten<lb/>
Schatten entzogen, ſchwinden ſie traurig dahin: Seele und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Muth</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[124/0136]
ſundheit und Jahrszeiten zu wirken ſcheine. Die Amerika-
ner, ſagt er, die bei Ankunft der Europaͤer ein Alter von hun-
dert und mehrern Jahren zuruͤckgelegt, erreichen jetzt oft kaum
das halbe Alter ihrer Vaͤter; woran nicht blos der Menſchen-
toͤdtende Branntwein und ihre veraͤnderte Lebensweiſe, ſon-
dern wahrſcheinlich auch der Verluſt ſo vieler wohlriechenden
Kraͤuter und kraͤftigen Pflanzen Schuld ſei, die jeden Morgen
und Abend einen Geruch gaben, als ob man ſich in einem
Blumengarten faͤnde. Der Winter ſei damals zeitiger, kaͤl-
ter, geſunder und beſtaͤndiger geweſen; jetzt treffe der Fruͤh-
ling ſpaͤter ein, und ſei, wie die Jahrszeiten uͤberhaupt, un-
beſtaͤndiger und abwechſelnder. ”So erzaͤhlt Kalm und wie
local man die Nachricht einſchraͤnke, doͤrfte ſie doch immer
zeigen, daß die Natur ſelbſt im beſten Werk, das Menſchen
thun koͤnnen, dem Anbau eines Landes, zu ſchnelle, zu ge-
waltſame Uebergaͤnge nicht liebe. Die Schwaͤche der ſoge-
nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai,
Braſilien; ſollte ſie nicht unter andern auch daher kommen,
daß man ihnen Land und Lebensart veraͤndert hat, ohne ihnen
eine Europaͤiſche Natur geben zu koͤnnen oder zu wollen? Alle
Nationen, die in den Waͤldern und nach der Weiſe ihrer Vaͤ-
ter leben, ſind muthig und ſtark, ſie werden alt und gruͤnen
wie ihre Baͤume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten
Schatten entzogen, ſchwinden ſie traurig dahin: Seele und
Muth
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/136>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.