[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. "lacht dir nur die ersten male, da du ihn siehest:"du betrachtest ihn öfter, und er wird aus einem "Philosophen ein Geck; aus seinem Lachen wird ein "Grinsen." Es kann seyn! aber wenn dieser la- chende Demokrit auch nur für den ersten Anblick ge- bildet seyn wollte? Wie nun? war bei diesem ersten Anblicke schon sein Lachen nicht anders, als verächt- lich, und widerlich; ward so gleich dadurch der Phi- losoph ein respektiver Geck, und seine Demokritmi- ne ein Grinsen: so ists freilich schlimm für ihn und den Künstler. Das Lachen hätte unterbleiben sol- len; aber -- nicht seiner permanenten Dauer, son- dern seines verächtlichen widerlichen Anblickes wil- len. War dies aber nicht: dünkt dir nur nach öf- term Besuche der lachende Philosoph ein Geck -- delikater Freund! so bilde dir ein, du habest ihn noch nicht gesehen, oder -- meide ihn. Aber uns verwehre darum nicht seinen ersten Anblick: und noch weniger forme ein Gesetz, daß hinkünftig kein Philosoph lachend gemalt werden solle. Warum? weil das Lachen was transitorisches sey. Jeder Zu- stand in der Welt ist so mehr oder minder transito- risch. Sulzer a) hat sich mit gesenktem Haupte, mit einem vom Finger unterstützten Kinne, und mit tie- fer philosophischer Mine stechen lassen. Nach Hr. Lessings Grundsatze müßte man ihn im Bilde anre- den: Philosoph, wirst du bald deine Aesthetik aus- gedacht a) Samml. vermischt. Schr. Th. 5.
Kritiſche Waͤlder. „lacht dir nur die erſten male, da du ihn ſieheſt:„du betrachteſt ihn oͤfter, und er wird aus einem „Philoſophen ein Geck; aus ſeinem Lachen wird ein „Grinſen.„ Es kann ſeyn! aber wenn dieſer la- chende Demokrit auch nur fuͤr den erſten Anblick ge- bildet ſeyn wollte? Wie nun? war bei dieſem erſten Anblicke ſchon ſein Lachen nicht anders, als veraͤcht- lich, und widerlich; ward ſo gleich dadurch der Phi- loſoph ein reſpektiver Geck, und ſeine Demokritmi- ne ein Grinſen: ſo iſts freilich ſchlimm fuͤr ihn und den Kuͤnſtler. Das Lachen haͤtte unterbleiben ſol- len; aber — nicht ſeiner permanenten Dauer, ſon- dern ſeines veraͤchtlichen widerlichen Anblickes wil- len. War dies aber nicht: duͤnkt dir nur nach oͤf- term Beſuche der lachende Philoſoph ein Geck — delikater Freund! ſo bilde dir ein, du habeſt ihn noch nicht geſehen, oder — meide ihn. Aber uns verwehre darum nicht ſeinen erſten Anblick: und noch weniger forme ein Geſetz, daß hinkuͤnftig kein Philoſoph lachend gemalt werden ſolle. Warum? weil das Lachen was tranſitoriſches ſey. Jeder Zu- ſtand in der Welt iſt ſo mehr oder minder tranſito- riſch. Sulzer a) hat ſich mit geſenktem Haupte, mit einem vom Finger unterſtuͤtzten Kinne, und mit tie- fer philoſophiſcher Mine ſtechen laſſen. Nach Hr. Leſſings Grundſatze muͤßte man ihn im Bilde anre- den: Philoſoph, wirſt du bald deine Aeſthetik aus- gedacht a) Samml. vermiſcht. Schr. Th. 5.
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Kritiſche Waͤlder.
„lacht dir nur die erſten male, da du ihn ſieheſt:
„du betrachteſt ihn oͤfter, und er wird aus einem
„Philoſophen ein Geck; aus ſeinem Lachen wird ein
„Grinſen.„ Es kann ſeyn! aber wenn dieſer la-
chende Demokrit auch nur fuͤr den erſten Anblick ge-
bildet ſeyn wollte? Wie nun? war bei dieſem erſten
Anblicke ſchon ſein Lachen nicht anders, als veraͤcht-
lich, und widerlich; ward ſo gleich dadurch der Phi-
loſoph ein reſpektiver Geck, und ſeine Demokritmi-
ne ein Grinſen: ſo iſts freilich ſchlimm fuͤr ihn und
den Kuͤnſtler. Das Lachen haͤtte unterbleiben ſol-
len; aber — nicht ſeiner permanenten Dauer, ſon-
dern ſeines veraͤchtlichen widerlichen Anblickes wil-
len. War dies aber nicht: duͤnkt dir nur nach oͤf-
term Beſuche der lachende Philoſoph ein Geck —
delikater Freund! ſo bilde dir ein, du habeſt ihn
noch nicht geſehen, oder — meide ihn. Aber uns
verwehre darum nicht ſeinen erſten Anblick: und
noch weniger forme ein Geſetz, daß hinkuͤnftig kein
Philoſoph lachend gemalt werden ſolle. Warum?
weil das Lachen was tranſitoriſches ſey. Jeder Zu-
ſtand in der Welt iſt ſo mehr oder minder tranſito-
riſch. Sulzer a) hat ſich mit geſenktem Haupte, mit
einem vom Finger unterſtuͤtzten Kinne, und mit tie-
fer philoſophiſcher Mine ſtechen laſſen. Nach Hr.
Leſſings Grundſatze muͤßte man ihn im Bilde anre-
den: Philoſoph, wirſt du bald deine Aeſthetik aus-
gedacht
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