Wie kann der Dichter dem Künstler, und der Künstler dem Dichter nachahmen? Jch glaube, daß der Unterschied, dem Hr. L. bei den Gattungen ihrer Nachahmung macht a), schon in unsrer Spra- che liege, und also auch in der Auseinandersetzung alles gleich durch ein Wort deutlich mache. Einen nachahmen, heißt, wie ich glaube, den Gegenstand, das Werk des andern nachmachen; einem nachah- men aber, die Art und Weise von dem andern ent- lehnen, diesen oder einen ähnlichen Gegenstand zu behandeln.
Um in diesen Unterschied einzudringen, sucht H. L. b) einen Gegner auf, mit dem er streite, und dieß ist Spence. Spence war freilich ein rathen- der Kopf voll Allusionen und Aehnlichkeiten: ein Wort, ein Zug des Bildes war ihm gnug, Anspie- lung und Nachahmung zu finden, und ich gestehe gern, daß sich sein Werk selten über ein Verzeichniß von Parallelstellen der Dichter, (zwar leider! nur der römischen Dichter) und der Künstler (und doch meistens griechischer Künstler) erhebe. Jndessen spielt ihm Hr. L. einen bösen Streich, daß er im Texte nützliche Erläuterungen anführt, die alten Schriftstellen aus der Vergleichung mit Kunstwer- ken zuwüchsen, und in seinen Noten diese nützlichen
Erläu-
a)p. 78. 79.
b)p. 80.
Kritiſche Waͤlder.
10.
Wie kann der Dichter dem Kuͤnſtler, und der Kuͤnſtler dem Dichter nachahmen? Jch glaube, daß der Unterſchied, dem Hr. L. bei den Gattungen ihrer Nachahmung macht a), ſchon in unſrer Spra- che liege, und alſo auch in der Auseinanderſetzung alles gleich durch ein Wort deutlich mache. Einen nachahmen, heißt, wie ich glaube, den Gegenſtand, das Werk des andern nachmachen; einem nachah- men aber, die Art und Weiſe von dem andern ent- lehnen, dieſen oder einen aͤhnlichen Gegenſtand zu behandeln.
Um in dieſen Unterſchied einzudringen, ſucht H. L. b) einen Gegner auf, mit dem er ſtreite, und dieß iſt Spence. Spence war freilich ein rathen- der Kopf voll Alluſionen und Aehnlichkeiten: ein Wort, ein Zug des Bildes war ihm gnug, Anſpie- lung und Nachahmung zu finden, und ich geſtehe gern, daß ſich ſein Werk ſelten uͤber ein Verzeichniß von Parallelſtellen der Dichter, (zwar leider! nur der roͤmiſchen Dichter) und der Kuͤnſtler (und doch meiſtens griechiſcher Kuͤnſtler) erhebe. Jndeſſen ſpielt ihm Hr. L. einen boͤſen Streich, daß er im Texte nuͤtzliche Erlaͤuterungen anfuͤhrt, die alten Schriftſtellen aus der Vergleichung mit Kunſtwer- ken zuwuͤchſen, und in ſeinen Noten dieſe nuͤtzlichen
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Kritiſche Waͤlder.
10.
Wie kann der Dichter dem Kuͤnſtler, und der
Kuͤnſtler dem Dichter nachahmen? Jch glaube,
daß der Unterſchied, dem Hr. L. bei den Gattungen
ihrer Nachahmung macht a), ſchon in unſrer Spra-
che liege, und alſo auch in der Auseinanderſetzung
alles gleich durch ein Wort deutlich mache. Einen
nachahmen, heißt, wie ich glaube, den Gegenſtand,
das Werk des andern nachmachen; einem nachah-
men aber, die Art und Weiſe von dem andern ent-
lehnen, dieſen oder einen aͤhnlichen Gegenſtand zu
behandeln.
Um in dieſen Unterſchied einzudringen, ſucht
H. L. b) einen Gegner auf, mit dem er ſtreite, und
dieß iſt Spence. Spence war freilich ein rathen-
der Kopf voll Alluſionen und Aehnlichkeiten: ein
Wort, ein Zug des Bildes war ihm gnug, Anſpie-
lung und Nachahmung zu finden, und ich geſtehe
gern, daß ſich ſein Werk ſelten uͤber ein Verzeichniß
von Parallelſtellen der Dichter, (zwar leider! nur
der roͤmiſchen Dichter) und der Kuͤnſtler (und doch
meiſtens griechiſcher Kuͤnſtler) erhebe. Jndeſſen
ſpielt ihm Hr. L. einen boͤſen Streich, daß er im
Texte nuͤtzliche Erlaͤuterungen anfuͤhrt, die alten
Schriftſtellen aus der Vergleichung mit Kunſtwer-
ken zuwuͤchſen, und in ſeinen Noten dieſe nuͤtzlichen
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/126>, abgerufen am 16.02.2025.
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