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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Kritische Wälder.
fen, diese Assertion zugeben. Diomedes überwäl-
tigt die unkriegerische Venus, und Diomedes war
doch nicht einmal Achilles. Er überwältigt Mars,
und hier mag Dione für mich das Wort führen a).

Der Jndividualcharakter der homerischen
Götter und Göttinnen ist also das Hauptaugenmerk,
nach welchem sich auch ihre Größe und Stärke
richtet. Hier kommt kein Allgemeinsatz in Betrach-
tung: Charakter ist hier über Gottheit.

Es giebt also bei ihm Göttinnen, die an Stärke
unter den Helden bleiben: Göttinnen also auch, die
an Größe den Menschen gleich seyn müssen: Götter,
die eben nicht größer seyn dörfen. Für das erste
zeuge Venus: für das zweite Juno, Venus, und viel-
leicht alle Göttinnen: für das dritte Apollo.

Ferner: Größe ist niemals Hauptzweck des
Dichters, um aus ihr Stärke zu folgern; sondern
nur immer da, um dem Bilde der Macht und Ho-
heit nicht zu widersprechen.

Kann diese also durch andre Merkmaale erkannt
werden, um so gefälliger dem Dichter: und welches
ist ein besseres Kennzeichen von Hoheit, als Macht
in der Wirkung, Schnelligkeit in der Bewegung?

Aus dieser also läßt Homer auf jene schließen:
nicht aber umgekehrt. Aus dem Winke Zevs, aus
dem Schritt Neptuns, aus dem Wurfe der Minerva
auf ihre Größe, nicht aber im Gegentheil.

So
a) Iliad. E. 381. etc.

Kritiſche Waͤlder.
fen, dieſe Aſſertion zugeben. Diomedes uͤberwaͤl-
tigt die unkriegeriſche Venus, und Diomedes war
doch nicht einmal Achilles. Er uͤberwaͤltigt Mars,
und hier mag Dione fuͤr mich das Wort fuͤhren a).

Der Jndividualcharakter der homeriſchen
Goͤtter und Goͤttinnen iſt alſo das Hauptaugenmerk,
nach welchem ſich auch ihre Groͤße und Staͤrke
richtet. Hier kommt kein Allgemeinſatz in Betrach-
tung: Charakter iſt hier uͤber Gottheit.

Es giebt alſo bei ihm Goͤttinnen, die an Staͤrke
unter den Helden bleiben: Goͤttinnen alſo auch, die
an Groͤße den Menſchen gleich ſeyn muͤſſen: Goͤtter,
die eben nicht groͤßer ſeyn doͤrfen. Fuͤr das erſte
zeuge Venus: fuͤr das zweite Juno, Venus, und viel-
leicht alle Goͤttinnen: fuͤr das dritte Apollo.

Ferner: Groͤße iſt niemals Hauptzweck des
Dichters, um aus ihr Staͤrke zu folgern; ſondern
nur immer da, um dem Bilde der Macht und Ho-
heit nicht zu widerſprechen.

Kann dieſe alſo durch andre Merkmaale erkannt
werden, um ſo gefaͤlliger dem Dichter: und welches
iſt ein beſſeres Kennzeichen von Hoheit, als Macht
in der Wirkung, Schnelligkeit in der Bewegung?

Aus dieſer alſo laͤßt Homer auf jene ſchließen:
nicht aber umgekehrt. Aus dem Winke Zevs, aus
dem Schritt Neptuns, aus dem Wurfe der Minerva
auf ihre Groͤße, nicht aber im Gegentheil.

So
a) Iliad. Ε. 381. etc.
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[182/0188] Kritiſche Waͤlder. fen, dieſe Aſſertion zugeben. Diomedes uͤberwaͤl- tigt die unkriegeriſche Venus, und Diomedes war doch nicht einmal Achilles. Er uͤberwaͤltigt Mars, und hier mag Dione fuͤr mich das Wort fuͤhren a). Der Jndividualcharakter der homeriſchen Goͤtter und Goͤttinnen iſt alſo das Hauptaugenmerk, nach welchem ſich auch ihre Groͤße und Staͤrke richtet. Hier kommt kein Allgemeinſatz in Betrach- tung: Charakter iſt hier uͤber Gottheit. Es giebt alſo bei ihm Goͤttinnen, die an Staͤrke unter den Helden bleiben: Goͤttinnen alſo auch, die an Groͤße den Menſchen gleich ſeyn muͤſſen: Goͤtter, die eben nicht groͤßer ſeyn doͤrfen. Fuͤr das erſte zeuge Venus: fuͤr das zweite Juno, Venus, und viel- leicht alle Goͤttinnen: fuͤr das dritte Apollo. Ferner: Groͤße iſt niemals Hauptzweck des Dichters, um aus ihr Staͤrke zu folgern; ſondern nur immer da, um dem Bilde der Macht und Ho- heit nicht zu widerſprechen. Kann dieſe alſo durch andre Merkmaale erkannt werden, um ſo gefaͤlliger dem Dichter: und welches iſt ein beſſeres Kennzeichen von Hoheit, als Macht in der Wirkung, Schnelligkeit in der Bewegung? Aus dieſer alſo laͤßt Homer auf jene ſchließen: nicht aber umgekehrt. Aus dem Winke Zevs, aus dem Schritt Neptuns, aus dem Wurfe der Minerva auf ihre Groͤße, nicht aber im Gegentheil. So a) Iliad. Ε. 381. etc.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/188>, abgerufen am 28.11.2024.