[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. Reiz, Handlung? -- Jmmer ein schöner Zuruff andie Dichter a): "Malet uns das Wohlgefallen, die "Zuneigung, die Liebe, das Entzücken, welches "die Schönheit verursachet" -- (wenn dies näm- lich die Energie eures Gedichts will!) so habt ihr die Schönheit selbst geschildert, (nämlich so fern ihr sie nach der vorigen Parenthese schildern müsset:) Nicht aber umgekehrt: ihr Dichter schildert keine körperliche Schönheit; könnet ihr sie nicht durch- gängig in Reiz, in Wirkung schildern; der Form nach müsse euch kein Zug entwischen: der Gestalt nach schildert sie nicht. -- So umgekehrt habe ich auf den Satz wenig Zutrauen. Wer kann leugnen, daß in mancher Gedichtart die a) Laok. p. 215. b) p. 210.
Kritiſche Waͤlder. Reiz, Handlung? — Jmmer ein ſchoͤner Zuruff andie Dichter a): „Malet uns das Wohlgefallen, die „Zuneigung, die Liebe, das Entzuͤcken, welches „die Schoͤnheit verurſachet„ — (wenn dies naͤm- lich die Energie eures Gedichts will!) ſo habt ihr die Schoͤnheit ſelbſt geſchildert, (naͤmlich ſo fern ihr ſie nach der vorigen Parentheſe ſchildern muͤſſet:) Nicht aber umgekehrt: ihr Dichter ſchildert keine koͤrperliche Schoͤnheit; koͤnnet ihr ſie nicht durch- gaͤngig in Reiz, in Wirkung ſchildern; der Form nach muͤſſe euch kein Zug entwiſchen: der Geſtalt nach ſchildert ſie nicht. — So umgekehrt habe ich auf den Satz wenig Zutrauen. Wer kann leugnen, daß in mancher Gedichtart die a) Laok. p. 215. b) p. 210.
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Kritiſche Waͤlder.
Reiz, Handlung? — Jmmer ein ſchoͤner Zuruff an
die Dichter a): „Malet uns das Wohlgefallen, die
„Zuneigung, die Liebe, das Entzuͤcken, welches
„die Schoͤnheit verurſachet„ — (wenn dies naͤm-
lich die Energie eures Gedichts will!) ſo habt ihr
die Schoͤnheit ſelbſt geſchildert, (naͤmlich ſo fern ihr
ſie nach der vorigen Parentheſe ſchildern muͤſſet:)
Nicht aber umgekehrt: ihr Dichter ſchildert keine
koͤrperliche Schoͤnheit; koͤnnet ihr ſie nicht durch-
gaͤngig in Reiz, in Wirkung ſchildern; der Form
nach muͤſſe euch kein Zug entwiſchen: der Geſtalt
nach ſchildert ſie nicht. — So umgekehrt habe ich
auf den Satz wenig Zutrauen.
Wer kann leugnen, daß in mancher Gedichtart
der erotiſchen Poeſie koͤrperliche Schoͤnheit geſchil-
dert werden muͤſſe, und wer muß nicht alsdenn
auch zugeben, daß manche Theile dieſer koͤrperlichen
Schoͤnheit in Reiz, in Bewegung, nicht geſchildert
werden koͤnnen? Einmal vorausgeſetzt, daß Arioſt
ein Gemaͤlde ſeiner Alcine liefern ſollte und wollte:
wie konnte er wohl ihre Naſe, Hals, Zaͤhne, Arme
in Wirkung ſchildern? Hr. L. frage b): was eine
Naſe ſey, an welcher der Neid nichts zu beſſern
findet: und ich frage: was eine Naſe ſey, die ſich
in Reiz, in ſchoͤner Bewegung zeige? — Arioſt
mußte alſo entweder ſolche Theile auslaſſen, und da
ers nun einmal auf Schilderung angeſetzt: ſo wuͤrde
die
a) Laok. p. 215.
b) p. 210.
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