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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Kritische Wälder.
aber eigentlich nur dem Ekel erwecken, bei dem Ge-
schmack der Hauptsinn wäre, und die Süßigkeit
der Töne nur empfände, so fern sie mit der Süs-
sigkeit, in Anschung des Geschmacks, Aehnlichkeit
hätte. Ein solcher allein würde in der übermä-
ßigen Consonanz auch eine Aehnlichkeit mit übermä-
ßiger Süßigkeit, folglich an Tönen, Ekel empfin-
den;
kein andrer! Jch sage, mit Fleiße empfin-
den, dunkel empfinden; denn von dem klaren
Hinzudenken ist hier nicht die Rede.

Endlich: ekelhafte Gegenstände fürs Auge.
Hr. L. glaubt a), "daß ein Feuermaal in dem Gesich-
"te, eine Hasenscharte, eine gepletschte Nase mit vor-
"ragenden Löchern, ein gänzlicher Mangel der Au-
"genbraunen, sich wohl so nennen ließen: daß wir
"etwas dabei empfinden, was dem Ekel nahe kom-
"me, daß, je zärtlicher das Temperament ist, wir
"desto mehr von den Bewegungen im Körper füh-
"len werden, die vor dem Erbrechen vorhergehen. "
Jch mag bei so unsichern Sachen des dunkelsten Ge-
fühls über Namen nicht streiten: indessen dünkt
mich, daß das zärtlichste Temperament, und dazu
im zartesten Zustande der Empfindung, z. E. eine
schwangere Frau, solche Gegenstände eher widrig,
als ekelhaft nennen, eher davor zurück schaudern,
und in Ohnmacht fallen, als sich drüber erbrechen

werde:
a) Laok. p. 247. 48.

Kritiſche Waͤlder.
aber eigentlich nur dem Ekel erwecken, bei dem Ge-
ſchmack der Hauptſinn waͤre, und die Suͤßigkeit
der Toͤne nur empfaͤnde, ſo fern ſie mit der Suͤſ-
ſigkeit, in Anſchung des Geſchmacks, Aehnlichkeit
haͤtte. Ein ſolcher allein wuͤrde in der uͤbermaͤ-
ßigen Conſonanz auch eine Aehnlichkeit mit uͤbermaͤ-
ßiger Suͤßigkeit, folglich an Toͤnen, Ekel empfin-
den;
kein andrer! Jch ſage, mit Fleiße empfin-
den, dunkel empfinden; denn von dem klaren
Hinzudenken iſt hier nicht die Rede.

Endlich: ekelhafte Gegenſtaͤnde fuͤrs Auge.
Hr. L. glaubt a), „daß ein Feuermaal in dem Geſich-
„te, eine Haſenſcharte, eine gepletſchte Naſe mit vor-
„ragenden Loͤchern, ein gaͤnzlicher Mangel der Au-
„genbraunen, ſich wohl ſo nennen ließen: daß wir
„etwas dabei empfinden, was dem Ekel nahe kom-
„me, daß, je zaͤrtlicher das Temperament iſt, wir
„deſto mehr von den Bewegungen im Koͤrper fuͤh-
„len werden, die vor dem Erbrechen vorhergehen. „
Jch mag bei ſo unſichern Sachen des dunkelſten Ge-
fuͤhls uͤber Namen nicht ſtreiten: indeſſen duͤnkt
mich, daß das zaͤrtlichſte Temperament, und dazu
im zarteſten Zuſtande der Empfindung, z. E. eine
ſchwangere Frau, ſolche Gegenſtaͤnde eher widrig,
als ekelhaft nennen, eher davor zuruͤck ſchaudern,
und in Ohnmacht fallen, als ſich druͤber erbrechen

werde:
a) Laok. p. 247. 48.
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[268/0274] Kritiſche Waͤlder. aber eigentlich nur dem Ekel erwecken, bei dem Ge- ſchmack der Hauptſinn waͤre, und die Suͤßigkeit der Toͤne nur empfaͤnde, ſo fern ſie mit der Suͤſ- ſigkeit, in Anſchung des Geſchmacks, Aehnlichkeit haͤtte. Ein ſolcher allein wuͤrde in der uͤbermaͤ- ßigen Conſonanz auch eine Aehnlichkeit mit uͤbermaͤ- ßiger Suͤßigkeit, folglich an Toͤnen, Ekel empfin- den; kein andrer! Jch ſage, mit Fleiße empfin- den, dunkel empfinden; denn von dem klaren Hinzudenken iſt hier nicht die Rede. Endlich: ekelhafte Gegenſtaͤnde fuͤrs Auge. Hr. L. glaubt a), „daß ein Feuermaal in dem Geſich- „te, eine Haſenſcharte, eine gepletſchte Naſe mit vor- „ragenden Loͤchern, ein gaͤnzlicher Mangel der Au- „genbraunen, ſich wohl ſo nennen ließen: daß wir „etwas dabei empfinden, was dem Ekel nahe kom- „me, daß, je zaͤrtlicher das Temperament iſt, wir „deſto mehr von den Bewegungen im Koͤrper fuͤh- „len werden, die vor dem Erbrechen vorhergehen. „ Jch mag bei ſo unſichern Sachen des dunkelſten Ge- fuͤhls uͤber Namen nicht ſtreiten: indeſſen duͤnkt mich, daß das zaͤrtlichſte Temperament, und dazu im zarteſten Zuſtande der Empfindung, z. E. eine ſchwangere Frau, ſolche Gegenſtaͤnde eher widrig, als ekelhaft nennen, eher davor zuruͤck ſchaudern, und in Ohnmacht fallen, als ſich druͤber erbrechen werde: a) Laok. p. 247. 48.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/274>, abgerufen am 04.12.2024.